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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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die Situation. Die Uniformierte bleibt erschrocken in der Tür stehen, spürt die Spannung und lächelt dümmlich. »Komm her«, sagt der SD-Mann, »setz dich … und schreib jedes Wort mit, klar?«
    »Ja«, sagt sie und geht auf den Tisch zu. Sie hat einen affektierten, tänzelnden Gang, schwingt die Hüften; sie trägt, was nicht zur Uniform gehört: Stöckelschuhe, und sie hat lange, wohlgeformte Beine. Während der paar Schritte, die sie an den Offizieren der ›Cap Arcona‹ vorbeigeht, scheinen die Augen des hageren SD-Mannes von ihrem Körper Maß zu nehmen. Das Maß ist mustergültig.
    Das Mädchen setzt sich, schlägt die Beine übereinander, wirft sich mit einem Ruck die langen, blonden Strähnen aus dem Gesicht, greift betont sachlich nach dem Bleistift und sieht den Chef fragend an.
    Die Offiziere der ›Cap Arcona‹ merken sofort, daß der Mann sich vor dem Mädchen produzieren will. Er brüllt nicht mehr, er spielt mit den Möglichkeiten seiner Macht wie mit den Registern einer Orgel, bald laut, dann leise, erst Stakkato, dann Fermate: ein Organist mit farblosen, langen Fingern, die wie Würmer über die Tasten gleiten.
    »SS-Sturmbannführer Langenfritz«, stellt er sich endlich vor.
    »Kaleu Straff«, entgegnet der Funkoffizier.
    »Ich nehme an … daß Sie mich mit Ihren … sagen wir, disziplinlosen Äußerungen nicht provozieren wollten.«
    »Das wollte ich nicht«, versetzt Straff, »ich bin es nur nicht gewohnt, in diesem Ton zu verhandeln.«
    »Den Ton bestimme ich … Aber ich halte Ihnen zugute, daß Sie durch die Ereignisse erregt waren und daß vielleicht auch ich …«, er fährt sich mit der flachen Hand über die glatten Haare, »ein wenig heftig wurde … Aber der Schicksalskampf unseres Volkes …«
    Christian Straff sieht, wie im Hintergrund der Schiffsarzt Dr. Corbach gähnt. Für diese Geste hätte er den Arzt umarmen mögen. Sie gibt ihm die Ruhe, die Sicherheit wieder und nimmt ihm den sinnlosen Drang, diesen hageren Kerl da genauso in die Fresse zu schlagen wie sein Freund Georg Fährbach einen betrunkenen Goldfasan. Es war eine männliche Reaktion. Aber was sollte es? Diese Zeit verlangte Kadavergehorsam, Unterwürfigkeit; sie schuf Marionetten, die auf Befehl der Schnur tanzten oder starben. Sie verlangt bestenfalls – und das begriff Christian Straff, während Dr. Corbach gähnte, und griff es wie ein Signal auf – Geschmeidigkeit und Schläue.
    »Eine Minute, bevor sich dieser Defätist erschoß«, begann Langenfritz mit der Vernehmung wieder, »haben Sie noch mit ihm gesprochen … Sie werden nicht behaupten, daß Ihnen sein Zustand nicht aufgefallen ist? Er war doch sicher erregt, gehetzt …?«
    »Er war müde. Wie immer.«
    »Und warum hat er Sie rufen lassen?«
    »Er wollte die Funkmeldungen noch einmal sehen …«
    »… die Sie nicht bei sich hatten.«
    »Ich hatte die Funksprüche vergessen.«
    »Und das soll ich Ihnen abnehmen?«
    Der SS-Sturmbannführer steht auf und geht mit großen Schritten im Kreis herum. »Es ist mir egal«, fährt er fort, »ob sich ein Feigling mehr oder weniger erschießt … aber in dieser Situation war es die reine, vorsätzliche Sabotage … Oder können Sie mir einen anderen Grund sagen?«
    »Allerdings«, versetzte Christian Straff knapp. »Kapitän Gerdts wollte die Verantwortung für diesen Saustall nicht länger ertragen.«
    »Welchen Saustall meinen Sie eigentlich?« fragt der Sturmbannführer gefährlich leise.
    »Die Zustände an Bord der ›Cap Arcona‹ … die Überbelegung zu 500 Prozent … die Ungeheuerlichkeit, ein unbewaffnetes Schiff ohne Begleitschutz dem Feind vor die Torpedomündungen zu werfen.«
    »Haben Sie schon einmal etwas vom Krieg gehört?« fragt Langenfritz heftig.
    »Ich schon«, entgegnet der frühere Kapitänleutnant mit genüßlicher Dehnung.
    »Ich würde diese dumme Sache mit Kapitän Gerdts ad acta legen«, sagte der SD-Mann, Straffs Anspielung überhörend, »wenn dieser Selbstmord nicht ausgerechnet noch mit einem angeblichen Maschinenschaden zusammenfiele …«
    »Das ist eine Frage, die Sie an den Leitenden Ingenieur richten sollten, Herr … Herr Sturmbannführer«, versetzt Straff kühl.
    Langenfritz winkt den Leitenden Ingenieur mit den Augen herbei. Dann betrachtet er die uniformierte Maid. So oft er sie ansieht, nickt sie ihm zu wie ein pickendes Huhn. Sie hat auch runde, dumme Hühneraugen, stellt Straff fest, und sie paßt bestens zu diesem hageren Strohkopf; ein

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