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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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unbewaffnete Schiff, und während alles in Deckung geht, rührt sich nichts.
    Kein Angriff. Kein einziger Schuß fällt.
    Jutta ist an Bord geblieben. Noch immer ist auch ein Sonderkommando der Marine, vorwiegend aus alten Reservisten bestehend, auf der ›Cap Arcona‹. Die Landser schließen untereinander Wetten ab, wie lange der Krieg noch dauert. Man einigt sich auf die Meinung: acht Tage, höchstens zehn.
    Die Engländer sind im Vormarsch auf Hamburg.
    Der Reichsrundfunk faselt von einer Festung Alpenland. Die Rote Armee berennt Berlin.
    Hitler verübt in seinem Bunker, tief unter der Erde, Selbstmord: gespenstische Szene eines Kitschfilms.
    Großadmiral Dönitz wird Reichspräsident.
    Die ›Cap Arcona‹ liegt immer noch vor Anker und wartet: auf Verwundete, auf einen Einsatzbefehl, auf einen Luftangriff.
    Dann kommt die Funkmeldung.
    Maat Möhrenkopf nimmt sie auf, und während er sonst bei der Entschlüsselung Witze reißt oder Flüche ausstößt, bleibt er still, geht den Klartext noch einmal durch, als hätte er sich geirrt.
    »Das gibt es nicht«, sagt er und reicht Christian Straff das Blatt.
    Das Schiff erhält den Befehl, sich zur Aufnahme von Häftlingen aus dem Konzentrationslager Neuengamme bei Hamburg bereitzuhalten.
    »Feine Karriere für ein Schiff«, sagt Möhrenkopf grimmig, »zuerst Luxusdampfer, dann Wohnschiff, dann Flüchtlingskahn, dann Lazarettpott, und jetzt noch …«, er biß in das Wort wie in einen faulen Apfel, »ein schwimmendes Zuchthaus … Gute Nacht, Herr Oberpolizist!«
    Christian Straff bringt Kapitän Bertram die Meldung. Der Kommandant trommelt seine Offiziere zusammen. Er verliest den Text des neuen Befehls. Die Männer stehen starr und kalt herum wie ihre eigenen Denkmäler.
    »Meine Herren«, sagt der Kommandant, »es kommt nicht in Frage. Ich werde diesen Befehl nicht ausführen … unter keinen Umständen!«
    Ein Ruck der Erleichterung geht durch die Offiziere.
    Unmittelbar danach läßt sich Bertram, begleitet von Christian Straff und zwei weiteren Offizieren, von einer Motorbarkasse am Ufer absetzen, um bei seinen vorgesetzten Dienststellen dagegen zu protestieren, daß die ›Cap Arcona‹ zu einem 26.500-Tonnen-KZ werden soll …
    Hauptscharführer Dreiling, der Vogelkopf, hatte Glück mit seiner Schießübung, sprich: Mord. Früher hatte man wenig Aufhebens von Zwischenfällen dieser Art gemacht, aber in den letzten Monaten waren sie aus verschiedenen Gründen seltener geworden.
    Als sich um den grünen Kapo – »Blattschuß übrigens, von hinten durch das Schulterblatt ins Herz«, erläutert Dreiling stolz – ein Auflauf bildet, wird das blutige Intermezzo von einer neuen Sensation überlagert: Das KZ Neuengamme ist binnen weniger Stunden zu räumen, und zwar im Wettlauf mit den heranmarschierenden Engländern.
    Keine Zeit für eine Untersuchung. Die neun Toten werden in das Krematorium geschafft und verbrannt.
    Zum letzten Zählappell, am Tor zur Freiheit oder in den Tod, erscheint der Lagerhaftführer Krappmann, zum erstenmal ohne Hund. Wen der Hund, eine zottige, mißbrauchte Bestie, früher angebellt hatte, der war reif. Werden die Tausende, die hier stehen, nicht auch ohne Hund reif sein?
    Depression und Optimismus stehen auf Tuchfühlung.
    Dreiling raunt Melber zu, daß in der Quarantänebaracke alles erledigt sei. Der heimliche Lagerleiter, ein harter, alter Kommunist, der längst der Meinung ist, Opfer seien nur nötig, wenn nützlich, nickt dumpf. Er hat es nicht anders erwartet, und jetzt muß er sehen, daß Fährbach nicht noch hinterher durchdreht, wenn er von dem neuerlichen Verbrechen hört.
    Der italienische Pfarrer und der französische Arzt nehmen den ehemaligen Seeoffizier in die Zange, bringen ihn zur Vernunft, überzeugen ihn schließlich, wie sehr sie ihn brauchen, falls das Gerücht sich erfüllen sollte, daß die Häftlinge auf die ›Cap Arcona‹ kommen. Schließlich kennt er das Schiff besser als jeder Bewacher, findet er sofort Kontakt zu Mitgliedern seiner Besatzung- und das ist eine und vielleicht die einzige Chance. Und Georg Fährbach ist hart und klug genug, um sie sofort zu nutzen.
    »Ach, sieh mal einer an«, bleibt Hauptsturmführer Krappmann vor dem Häftling Nummer 8.773 stehen. »Komm mit, du Marineschwein!« Er zieht Fährbach auf die Seite.
    »Befehl ausgeführt!« brüllt der frühere Kaleu.
    »Welchen?«
    »Die Häftlinge in der Quarantänebaracke.«
    »Was ist mit ihnen?«
    »Tot«, antwortet Georg Fährbach.

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