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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Seine Lippen bewegen sich stumm.
    »Befehl von wem?«
    »Von Ihnen, Herr Hauptsturmführer.«
    »Haben Sie das schriftlich?« fragt Krappmann höhnisch.
    »Nein, Herr Hauptsturmführer.«
    »Dann halten Sie gefälligst das Maul … Sie haben das ganz allein getan, nur um sich bei uns einzuschmeicheln … Die Verantwortung tragen Sie, verstanden?«
    »Jawohl, Herr Hauptsturmführer.«
    Krappmann ist im Gehen, aber er dreht sich noch einmal um. In seinem Gesicht mit den verschwimmenden Zügen balgt sich der Schnaps mit dem Hohn. »Wir werden verlegt«, sagt er, »das erfordert verstärkte Disziplin … unter Schweinen wie euch ist sie nur durch Schläge und Hinrichtungen zu wahren … Ich stelle hiermit ein Sonderkommando zusammen, das sich für Exekutionen bereithält …« Sein sarkastischer Mund kräuselt sich wie Wellblech, als er hinzufügt: »Ich ernenne Sie hiermit zum Kapo des Exekutionskommandos … Sie sollen nicht aus der Übung kommen, Fährbach … und Sie werden Ihre beschissenen Kameraden noch aufhängen, wenn Sie die Tommies schon an den Stahlhelmen erkennen, kapiert?«
    »Jawohl, Herr Hauptsturmführer.«
    »Heil Hitler!«
    »Heil Hitler, Herr Hauptsturmführer.«
    Der Lagerhaftführer feixt. Der silberne Totenkopf auf seinem schwarzen Kragenspiegel scheint mitzugrinsen …
    Minuten später beginnt die Verladung der Häftlinge des KZs Neuengamme. Keine Verpflegung. Kein Wasser. Die ausgemergelten Gestalten werden in den Waggons zusammengepfercht wie Heringe in der Büchse. Heringe sind tot, aber diese armen Hunde müssen erst noch sterben.
    Und viele bringen es noch während des Transports nach Lübeck hinter sich …
    Marion Fährbach steht am Fenster. Ein schöner Tag heute, wie geschaffen für das Leben. Die Sonne hat sich schon sehr früh erhoben. Sie leuchtet das erste Grün des Waldrandes aus; sie macht die Häuser mit den zierlichen Giebeln idyllisch. Keine Wolke zu sehen, und der Nordwind spült frische Salzluft über die Küste. In Marions großen Augen spiegelt sich der Frühling, glänzt die Sonne, verschwimmt die Welt …
    Ein Wetter wie bestellt für die britischen Tiefflieger, die wie flinke Hornissen über die Erde flitzen und aus ihren Bordkanonen tötende, goldene Knöpfe spucken.
    Nebenan greint der kleine Jürgen. Was weiß ein Fünfjähriger schon vom Krieg? Wie sollte er begreifen, warum er nicht mit den anderen Kindern im Freien spielen darf an einem solchen Tag?
    Bald vorbei, denkt Marion.
    Die Spitzen der englischen Panzertruppen sollen nur noch 40 Kilometer von Lübeck entfernt sein. Ein Gerücht will wissen, daß Hamburg gefallen ist … und am Ende der Hansestadt liegt Neuengamme, das Konzentrationslager, in das man Georg steckte.
    Vielleicht ist er schon frei, sagt sich Marion und lächelt müde. Ihr Gesicht ist voller geworden, ihre Stimme fester. Aber die junge, hübsche Frau quält die Hoffnung fast noch mehr als die Angst. Hoffnung und Angst, das sind für sie siamesische Zwillinge, deren einer sterben muß, so man sie trennt …
    Marion sieht den Postboten. Er kommt mit dem Fahrrad und winkt ihr schon von weitem zu. Sie geht ihm entgegen. Ein Brief von einer Bekannten aus Berlin. Nichts Wesentliches. Nichts von Georg. Auch nichts von Christian Straff.
    »Sehen Sie sich bloß vor, Frau Fährbach«, sagt der Postbote, mit dem sie öfter ein paar Worte wechselt, »jetzt haben sie uns auch noch die Verbrecher auf den Hals geschickt.«
    »Verbrecher?« fragt Marion verständnislos.
    »Ja … eine ganze Kolonne … lauter Zuchthäusler, Mörder und so … Gehen Sie bloß nicht aus dem Haus, die plündern sonst …«
    »Und die laufen frei herum?«
    »Nein, streng bewacht … Aber wer weiß, wie lange das noch hält«, sagt der Postbote, »wenn die Tommies kommen, dann gehen doch diese SS-Leute stiften.«
    »SS-Leute?« fragt Marion erschrocken.
    »Ja … die kommen doch aus dem KZ.«
    »Woher?«
    »Irgendwo vom Westen, glaube ich …«
    »Wer sagt Ihnen denn, daß es Verbrecher sind?« entgegnet Marion heftig.
    »Aber sie haben doch diese Sträflingsanzüge an … und wie sie aussehen … Wissen Sie, Bestien sind das, keine Menschen mehr.«
    »Mein Gott …« sagt Marion.
    Als der Postbote gegangen ist, entschließt sie sich, trotz der Tiefflieger dem Elendszug entgegenzufahren. Sie nimmt das Rad, und sie braucht nicht weit zu fahren, denn die Panik lenkt sie, die sich unter der Zivilbevölkerung verbreitet: Als letztes Strandgut schickt der Krieg

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