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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Bertram ist der Meinung, daß die ›Cap Arcona‹ dort als Lazarettschiff verwendet wird. Das heißt, daß der Funkoffizier eigentlich arbeitslos ist und Zeit für die Frau seines Freundes Georg hat. Sicher hat sie sich eingelebt, denkt Christian, ist etwas zuversichtlicher geworden, was ihren Mann betrifft. Straff weiß nicht, wie viele Menschen das Dritte Reich zu Häftlingen gemacht hat – er flüchtet sich in den dünnen Optimismus, daß es fast bei jeder Katastrophe Überlebende gibt. Und er setzt darauf, daß Georg zu ihnen gehören wird.
    »Nachdenklich?« fragt Jutta.
    »Ja.«
    »Eine Frau?«
    »Ja.«
    »Ist sie schön?«
    »Sehr.«
    »Sie bedeutet dir viel?«
    »Mehr.«
    »Und sie steht zwischen uns?«
    »Nein«, erwidert Christian Straff.
    »Oh«, versetzt Jutta, »verzeih meine Neugier … und setz dich neben mich … du Holzbock … und leg deinen Arm um meine Schulter … und zieh mich an dich, ganz fest … Und schau nicht auf die Uhr, denn wir haben Zeit … wir haben viel mehr Zeit, als du denkst … Wir haben vielleicht …«
    Christian folgt ihr willig, zieht Jutta an sich, riecht das Aroma ihrer Haut, den Duft ihrer Haare, spürt die Sehnsucht und sieht, wie Jutta lächelt.
    »In ein paar Tagen ist der Krieg aus«, sagt er, »und was machen wir dann?«
    »Weiß nicht …«
    »Was wirst du tun?«
    »Ich bleib bei dir, Dummkopf«, antwortet Jutta.
    »Ich weiß nicht, ob das geht, Kücken.«
    »Kücken ist hübsch«, versetzt die Dreiundzwanzigjährige.
    »Ich muß zurück in meine Funkbude.«
    »Warum?«
    »Dienst.«
    »Bleib hier …«
    »Morgen.«
    »Gut«, erwidert sie, »wir haben ja noch so viel Zeit … Magst du mich?«
    »Ich hab dich lieb«, entgegnet Straff und steht auf.
    »Dann sag's auch, du Esel!« sagt Jutta zärtlich und wirft ihm einen Hausschuh nach.
    Die ›Cap Arcona‹ wird in vier Stunden, etwa zum Morgengrauen, ihr Ziel erreichen …
    14. April, KZ Neuengamme bei Hamburg, 17 Uhr 51. SS-Hauptscharführer Dreiling ist ein brauner ›Herrenmensch‹, aber jetzt schleicht er durch die Lagergasse wie ein mickriger Duckmäuser. In seinen Gedärmen sitzt die Angst, in seinem kleinen Vogelkopf wütet der Schnaps. Der Alkohol stützt seine Weltanschauung, aber nun geht sie zu Ende, bevor noch der Schnaps alle ist.
    Der große Umbruch steht bevor. Der transportable Galgen und die Akten sind verbrannt, die zu Bestien abgerichteten Bluthunde wurden vergiftet, und jetzt wagte es einer dieser elenden Häftlinge, dieser Melber, dieser rote Hund, ihn zu erpressen …
    Ihn, den SS-Hauptscharführer Dreiling – der auch noch kurz vor Torschluß, gemessen an diesen stinkenden, kahlen Zebrasklaven, ein halber Gott ist.
    Während der Totenkopfmann auf die Quarantänebaracke zugeht, geistert die Reue wie ein giftiger Dampf durch sein Bewußtsein. Daß er ›Chesterfields‹ aus schwedischen Care-Paketen rauchte, daß er Schweizer Schokolade unterschlug, daß er Häftlingspost aus dem Lager schmuggelte, daß er diesen Marinepinkel Fährbach nicht im Steinbruch umgelegt hat und daß er elf Jahre nutzlos verstreichen ließ, ohne diesen dreckigen Kommunisten Melber durch den Schornstein des Krematoriums zu jagen: Das alles bereut der Vogelkopf, an dessen Gestell die überweite SS-Uniform herumschlottert wie das schlechte Gewissen.
    Was soll er tun? Zu dem Hauptsturmführer Krappmann gehen, der das ganze Schlamassel auslöste?
    Erstens ist er betrunken, und zweitens traut der Lagerhaftführer dem Dreiling ohnedies nicht mehr, und drittens brächte Krappmann es glatt fertig, dem Hauptscharführer die Uniform auszuziehen, ihm die Haare abzusäbeln und ihn in die Häftlingsmontur zu stecken.
    Vielleicht gar nicht so dumm, grinst Dreiling dümmlich, in ein paar Tagen wäre ich wahrscheinlich lieber Häftling als einer der Bewacher. Wenn wir verlieren, überlegt Dreiling gereizt, haben sie gesiegt, und es wäre vielleicht angebracht, sich unauffällig unter sie zu mischen. Aber diese Schweine verraten mich ja doch …
    »Achtung!« brüllt der Quarantänekapo, als SS-Hauptscharführer Dreiling mehr verstohlen als laut die Unterkunft betritt.
    »Weitermachen!« sagt er, obwohl er sonst keine Gelegenheit für ein paar Fußtritte versäumt. »Raus!« sagt er dann zu drei Häftlingen des Pflegepersonals.
    Er wendet sich an den Kapo. »Gib mir die Spritze!«
    Der Mann, ein ›Grüner‹, ein Verbrecher also, reicht sie ihm beflissen. Dann gibt Dreiling einem Unterscharführer und einem Sturmmann,

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