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Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen

Titel: Fünf vor Zwölf - Und kein Erbarmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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hat.
    Dann stürzen ein paar Männer über Marion, reißen sie weg, zu Boden. Und wieder wirbelt Staub auf und werden Menschen von den Bordgeschossen in den Boden genietet. Das ebene Land ist ein Servierbrett der Vernichtung.
    Einen Moment schließt Marion die Augen. Sie liegt flach, die Hände wie bittend nach oben gehalten. Neben ihr ist ein Mann, dessen Augen sich starr in die tiefen Höhlen zurückgezogen haben. Die Haut spannt sich über seine Backenknochen. Er atmet lebhaft und starrt den Flugzeugen nach, die auf das nächste Dorf zufliegen, als wollten sie den Kirchturm umwerfen, dann steil nach oben gerissen werden, fast senkrecht in die Schleife gehen, zu einem Looping fast, dann nach Westen ausschwirren, nach Süden abdrehen, um wiederzukommen.
    »Kennen Sie meinen Mann?« fragt Marion den Häftling, der neben ihr liegt.
    Er reagiert nicht.
    Sie zieht ihn am Arm. »Fährbach«, sagt sie, »kennen Sie Georg Fährbach? … Er ist im Lager Neuengamme …«
    Langsam wird der lebende Tote mit seiner Erstarrung fertig, hört zu, gibt es auf, nach den schwarzen Punkten zu sehen. Lange Jahre hat er auf die Befreiung durch die Alliierten gewartet, nun kann er es nicht begreifen, daß er von dem Moment an, der ihn erlöst, getötet werden soll. Aber die Kraft dieser Unbekannten scheint sich auf ihn zu übertragen; die Suggestion einer Frau, die nicht nach oben sieht und keine Angst vor Tieffliegern hat.
    »Fährbach«, sagt Marion noch einmal drängend.
    »Ich aus Norwegen … sprechen nicht gut … deutsch …«
    Sie kommen wieder. Sie metzeln noch die Toten nieder. Aber wenigstens legen sie einen barmherzigen Lärmvorhang über das Gebrüll der Sterbenden. Die Schwingen zischen durch die Luft wie Sensen. Die Tragflächen zittern im Sonnenglast. Die Piloten sitzen im Licht und sind doch wie blind, obwohl es keine Gegenwehr gibt. Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, liegen im Geschoßhagel, und viele mögen überlegen: Jetzt aufstehen, abhauen! Das ist der Moment, wo ihre Folterknechte die Köpfe tief in den Dreck ziehen und der Zählappell allenfalls ihrem Puls gilt.
    »Neuengamme … Georg Fährbach … bitte«, sagt Marion und rüttelt den Häftling am Arm, läßt ihn im nächsten Moment entsetzt los, als sie erkennt, daß das Gesicht dieses Mannes nicht mehr schiefergrau, sondern rot ist, blutrot … und begreift, daß Tote keine Auskunft mehr geben.
    Wieder ist es still.
    Diesmal drehen die ›Mosquitos‹ endgültig ab.
    Vielleicht hat einer den Irrtum erkannt und die anderen über Kehlkopfmikrophon aufgeklärt. Oder sie haben sich zu großzügig leergeschossen. Oder sie fliegen zum nächsten Stützpunkt zurück, um neu aufzutanken. Jedenfalls sind sie weg.
    Und jedenfalls nährt die Distanz vom Feind wieder die Arroganz der Totenkopfleute.
    »Was haben Sie hier zu reden?« fährt einer der Bewacher Marion an.
    Er betrachtet sie, lächelt. Denn über sein leeres Gesicht geistert Leben, fließt Gier. »Oh, Verzeihung!« sagt er. »Kunststück, die Aufregung … Diese Schweine, auf wehrlose Frauen schießen sie, diese Mordbrenner … Na, wir geben es diesen Säuen noch!« Er hakt sich die Feldflasche vom Koppel. »Nehmen Sie 'nen Schluck, junge Frau … ist gut für die Nerven.«
    Marion schüttelt den Kopf.
    »Was haben Sie auch hier zu suchen?« fährt er fort. »Gehen Sie in den Keller, wenn ich Ihnen raten darf …« Er feixt gewöhnlich. »Würde gerne mitkommen … wenn ich nicht diesen Mist da …«, er deutet auf die Häftlinge, die zum Zählappell zusammengetrieben werden.
    »Ich suche meinen Mann«, sagt Marion fest.
    »Wo?«
    »Unter diesen Gefangenen.«
    »Wa…?«
    »Ja … er ist … er war in Neuengamme.«
    »'ne Frau wie Sie? … und so 'n Bursche?«
    »Schönen guten Morgen«, sagt Unterscharführer Heinrichs, der herankommt, die Feldflasche des Rottenführers nimmt und ihn beiseite schiebt. »Sie sind ja noch ganz verstört«, wendet er sich an Marion und legt seinen Arm um Schultern, die hart und steif werden wie Holz. »Kann ich etwas für Sie tun?«
    »Kennen Sie einen Häftling Georg Fährbach?«
    »Kenn' bloß Nummern«, antwortet Heinrichs grinsend.
    »Ist das nicht der Marinepinkel?« fragt der Rottenführer.
    »Ach nee«, erwidert der Unterscharführer, »der …? Mensch, der war bei mir auf Schreibstube.«
    »Wo ist er?« fragt Marion. Sie spricht undeutlich, aber Heinrichs versteht es.
    »Ist mit dem Stammpersonal zurückgeblieben … Vielleicht kommt er

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