Fünf Zaubersteine zu binden fünf verschiedne Welten
h te sie mürrisch. Laut sagte sie: »Dann kann ich jetzt einfach so hinausgehen, wie ich bin?«
Er nickte.
»Wenn du willst. Das ist aber dumm. Wenn es schon so du n kel ist wie jetzt, erfrierst du halb. Re g nen wird es auch. Vorhin hab’ ich es donnern hören. Außerdem gibt es nur dunkle Str a ßen und Erwachs e ne, die nachts arbeiten. Du könntest nichts sehen oder finden, was du nicht besser am Morgen e r kennst, und du würdest auf jeden Fall eine Erkältung bekommen. Erhol dich lieber und versuch zu schlafen – das Bett steht drüben. Morgen früh führ ich dich herum.« Er gähnte.
Sie seufzte, stand auf und ging zum Bett. Es war nicht viel weicher als der Tisch, und eigentlich fühlte sie sich nicht b e sonders schläfrig, aber es blieb ihr nicht viel anderes übrig. Der Junge hatte recht.
Ein Umgang mit den Frauen wie im Mittelalter, und dazu noch Bestrafung durch Gott, dachte sie und schüttelte hilflos den Kopf. Noch nie war ihr etwas so aussichtslos erschienen.
Während sie auf dem Bett lag und einzuschlafen versuchte, wanderten ihre Gedanken seltsamerweise zu ihrem Vater z u rück. »Nie aufgeben«, hatte er ihr erklärt. »Wer aufgibt, hat schon verloren.«
Aber das da ist ein bißchen anders als eine Zehn beim B o denturnen, Papa, gab sie zurück, doch er war immer noch da, starrte auf sie herab, trieb sie an, bestand darauf, daß sie die Beste sei und alles erre i chen könne.
Und mit diesen Erinnerungen an einen Toten und an eine fremde Welt schlief sie endlich ein.
»Aufwachen!« rief die Stimme des Jungen durch einen N e bel.
Sie stöhnte leise und wurde ein bißchen wach, g e rade soviel, um Körper und Denken zu versichern, daß sie lieber weite r schlafen wolle.
»Wie spät ist es?« lallte sie.
»Dämmerung vorbei«, erwiderte der Junge. »Die Straßen sind sonnenhell, und bald werden Einwohner und Händler auf den Beinen sein. Der Tag fängt an.«
»Ich glaube, ich fange den Tag lieber ein bißchen später an«, brummelte sie und wollte wieder ei n schlafen.
Plötzlich ertönte eine Stimme in ihr, eine gewaltige, uralte Stimme, die gleichzeitig väterlich und mahnend war, aber trot z dem ganz unmenschlich.
»FAULPELZ!« dröhnte sie und war verschwu n den. Und sie spürte eine Kraft, einen Stromschlag durch ihr ganzes Sein, i h ren Geist und Körper fluten. Es war nicht schmerzhaft, aber gewiß stark, ein so starker Reiz, wie sie ihn nur je gekannt oder erlebt hatte.
Sie war auf einmal hellwach und sprang beinahe aus dem Bett. Sie fühlte sich wie eine aufgezogene Feder, zum Bersten aufgeladen, und ein wenig en t täuscht, weil sie eigentlich nicht wußte, was sie tun sollte. Das erschreckte sie auch ein bißchen, und sie sagte, mehr zu sich selbst als zu dem Jungen: »Was g e schieht mit mir?«
Der Junge lächelte.
»Willkommen in Zolkar«, erwiderte er gelassen. »Ich weiß nicht, wie es auf der Welt ist, von der du kommst, aber hier wirst du dich verhalten, wie das Heilige Bündnis es verlangt – ob du willst oder nicht. Keine Sorge, du wirst dich gleich wi e der b e ruhigen. Das war nur der erste Hinweis für dich. Je öfter du es machst, um so schlimmer wird es sein.«
Seine Worte enthielten wenig Trost für sie, ob jetzt oder in der Zukunft, aber dieser kleine Vorg e schmack auf den Willen Gottes übte eine ernüchternde und erschreckende Wi r kung auf sie aus. Was für ein Ort war das hier übe r haupt? Und was für ein Leben?
»Gehen wir Essen holen«, schlug der Junge vor und lief zur Tür. Sie folgte ihm, froh darüber, etwas tun zu können.
Obwohl die Sonne offenbar erst vor einer halben Stunde au f gegangen sein konnte, waren schon viele Leute auf den Beinen. Die Luft war erfüllt von einer seltsamen Geruchsmischung, von Kot und trocknendem Schlamm und Müll, vermengt mit exot i schen Düften nach frischgebackenem Brot und anderen K ü chengerüchen.
Es war schon warm; während der Nacht hatte es wirklich ein Gewitter gegeben, was man an Schlammpfützen und trockne n den Wänden überall erkennen konnte. Aber jetzt, als die Sonne zu sengen begann und die Verdunstung um sich griff, glich die Luft der in einem Dampfbad. Wenn ihre Nacktheit tatsächlich keine Sperre oder Bedrohung – außer für ihre Züchtigkeit – da r stellte, war sie sogar besser dran als der Junge, von dem man offenkundig erwartete, daß er das schwere, wenn auch zerlum p te G e wand trug.
Ihre Scheu verlor sich rasch, als sie um die Ecke bogen und eine Hauptstraße hinuntergingen,
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