Fünf
Säge gehangen hatte.
«Richtig.» Sigarts gesunde Hand spielte mit der Pistole, drehte sie am Tisch, immer linksherum. «Sagen Sie mir, weswegen», forderte er sie auf.
«Damit wir die falschen Schlüsse ziehen. Es hat Ihnen Zeit verschafft.»
«Das war lediglich ein positiver Nebeneffekt.»
Es fiel Beatrice schwer, ihre Aufmerksamkeit von der Pistole zu wenden. Der Gedanke, er könne sie erschießen, oder anschießen, wenn sie eine falsche Antwort gab, schien plötzlich nicht mehr abwegig. Es war in seinen Augen. Die Rache für seine Familie schloss möglicherweise ihren Tod mit ein, obwohl sie nicht verstand, weswegen.
«Es hat alles mit Schuld zu tun», sagte sie vorsichtig. «Nur weiß ich nicht, womit Nora sich so schuldig gemacht hat, dass Sie ihr das antun mussten.» Die Tätowierungen der Frau fielen ihr wieder ein, die ersten Koordinaten, die Sigart ihnen hatte zukommen lassen. An einer so empfindlichen Stelle wie den Fußsohlen, danach musste jeder Schritt eine Qual gewesen sein.
Jeder Schritt.
Beatrice hob den Kopf. Keine unausgereiften Vermutungen, hatte Sigart gesagt. Trotzdem wagte sie es.
«Nora ist davongelaufen, damals. Sie hätte Hilfe holen können oder den Schlüssel nehmen und die Hütte aufschließen, aber sie ist abgehauen.»
In Sigarts Gesicht zuckte ein Muskel. «Nicht schlecht. Und weswegen habe ich ihr Liebscher überlassen?»
Sie dachte nach, doch keiner ihrer Gedanken war wenigstens ansatzweise logisch. «Ich weiß es nicht», flüsterte sie.
Sigart beugte sich über den Tisch, die Pistole fest in der rechten Hand. «Sie war nicht sehr entscheidungsfreudig. Niemand, der tätig wird, wenn es nötig ist. Also habe ich ihr etwas zu tun gegeben und ihr eine Entscheidung überlassen. Nein, zwei: Pistole oder Messer. Er stirbt oder sie selbst.» Er lehnte sich wieder zurück. «Am Ende waren es dann
er
und
Pistole
. Nora Papenbergs eigene Wahl.»
Er streckte sich, nicht wohlig, sondern wie um einem Krampf entgegenzuwirken. «Es wird Zeit, dass wir nach oben gehen.»
Das kam überraschend. Und es war eine unerwartete Chance – er musste dafür ihre Hände losmachen. Sobald die Durchblutung wieder in Ordnung war, würde Beatrice ihm überlegen sein, wenigstens so weit, dass sie fliehen konnte.
«Machen Sie sich bitte keine Hoffnungen.» Die Pistolenmündung wanderte träge nach rechts, bis sie auf Beatrices Brust wies. «Ich habe sehr genaue Vorstellungen davon, wie es weitergehen soll. Wenn Sie mir die verderben, indem Sie weglaufen oder sich wehren wollen, erschieße ich Sie auf der Stelle. Ungern allerdings.» Er schob seinen Stuhl zurück und stand auf. Noch nie war er Beatrice so groß erschienen. «Falls Sie mich dazu zwingen, werden Sie nicht die Einzige sein, die stirbt. Ich war vor einiger Zeit wieder einmal am Mooserhof, Mina hat mir Kaffee gebracht. Ein hübsches Mädchen, finde ich. Sie beginnt auch schon, es zu wissen. Von all dem Spielzeug, das ich mitgebracht hatte, wollte sie nur Hannas Spiegel haben.»
Unwillkürlich schnappte Beatrice nach Luft. Erinnerte sich.
Mina hat einen voll schönen Spiegel gekriegt, mit glitzernden Blumen am Rand
.
«Und Jakob haben Sie eine kleine Welt geschenkt, die leuchtet.» War das ihre Stimme, dieses heisere Krächzen, das seinen Sitz tief in der Kehle hatte? Beatrice kämpfte gegen das Gefühl an, ins Bodenlose zu fallen, sah Mina und Jakob vor sich, wie sie in der Dachkammer schliefen, wo alles aus Holz war …
«Ich dachte, wenn Ihre und meine Kinder vielleicht ein Schicksal teilen müssen, können sie auch ein wenig Spielzeug teilen.» Sigart musterte sie forschend. Wartete er auf eine Reaktion? Sie hätte ihn angefallen, auf der Stelle, wenn ihre Hände frei gewesen wären.
«Ich möchte das nicht», erklärte Sigart freundlich. «Ich will nur sichergehen, dass Sie kooperativ sind, dann passiert Ihren Kindern nichts, versprochen. Falls nicht, ist alles für meinen Plan B vorbereitet. Ich finde, es ist nur fair, dass Sie das wissen.»
Es dauerte, bis die schwarze Flut in Beatrices Kopf zurückgewichen und klares Denken wieder möglich war. Sie würde abwarten müssen, bis sich eine wasserdichte Gelegenheit ergab, ihn zu überwältigen. «In Ordnung. Ich werde tun, was Sie verlangen.»
«Bis zum Ende?»
Welches Ende?
, wollte sie fragen.
Meines? Ihres? Was um Gottes willen meinen Sie?
All das schluckte sie hinunter und tat einen Atemzug, so tief, als hätte sie Angst, es könnte ihr letzter sein. «Ja, bis zum
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