Fünf
nehmen sollte.
Sigart setzte sich.
«Wollen Sie ein Glas Wasser?» Sie fragte ihn das jedes Mal, obwohl er noch nie ja gesagt hatte. Auch diesmal schüttelte er den Kopf.
«Wie ist es Ihnen in der letzten Woche gegangen?»
Er sah ihr in die Augen, ohne zu lächeln. «Ich habe mich nicht umgebracht.» Die gleiche Antwort wie immer.
«Darüber bin ich froh.» Die Ärztin nickte und blätterte in ihren Unterlagen. «Erzählen Sie mir, was in den vergangenen Tagen passiert ist. Wir hatten abgemacht, dass Sie täglich eine halbe Stunde spazieren gehen sollten. Wie ist es Ihnen damit gegangen?»
Er zögerte. «Täglich hat nicht geklappt. Aber immerhin dreimal.»
Sie lächelte, als hätte er ihr tatsächlich eine Freude gemacht. «Das ist ein sehr schöner Fortschritt. Wie haben Sie sich danach gefühlt?»
Er blickte nachdenklich zur Seite. «Ich weiß nicht. Merkwürdig. Einmal hatte ich das Gefühl, jemand würde mir folgen, aber vermutlich war es nur das Übliche. Mein Gewissen.»
Maly notierte etwas in ihre Mappe. «Haben Sie sich denn umgedreht und einen Verfolger gesehen?»
«Nein. Also, nicht richtig, meine ich. Eher so ein Huschen, als ob sich jemand in einen Hauseingang duckt oder hinter einem Lieferwagen verschwindet. Verstehen Sie?» Der lange Satz hatte ihn erschöpft. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm, dass er erst fünf Minuten hier war, und er wünschte sich nun tatsächlich, er wäre im Bus sitzen geblieben.
«Danke, jetzt kann ich es mir vorstellen.» Malys Stift huschte über das Papier. «Lassen Sie uns noch einmal über das Thema Gewissen sprechen.»
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. «Wozu? Ich weiß, dass ich den Wald nicht angezündet habe. Aber Tatsache ist und bleibt: Ich habe die Zeichen nicht erkannt. Miriam hat mich noch gebeten, nicht zu fahren. Sie war so eingeschnappt, weil ich es trotzdem tun wollte. Sie war …» Er legte eine Hand über die Augen.
Dann fahr doch zur Hölle, Bernd, wenn du nicht einmal im Urlaub Zeit für uns hast
.
Genau das hatte er getan. Er hatte den direktesten und grauenvollsten Weg in die Hölle genommen, der vorstellbar war.
Als er hochsah, ruhte Anja Malys Blick auf ihm, geduldig und mitfühlend. Er riss sich zusammen. «Ich war nicht da, darauf läuft es hinaus. Dieses Wissen kann niemand wegtherapieren. Wäre ich nicht in das Gestüt gefahren, sondern hätte einen Kollegen geschickt, dann würde meine Familie noch leben. Das weiß ich so sicher, wie die Nacht dunkel ist. Ich hätte dafür gesorgt, dass alle aus dem Haus kommen.» Er holte tief Luft, doch es war, als gelange nichts davon tiefer als bis zu seinem Kehlkopf. «Wenn Sie wüssten, wie oft ich davon träume. Ich rieche den Rauch und sehe Flammen im Wald, aber ich werde nicht panisch, sondern ich öffne als Erstes die Tür, hole dann Miriam und wecke schnell die Kinder – Lukas und Hanna laufen selbst hinaus, Oscar trage ich. Wir haben sogar noch Zeit, unsere wichtigsten Dinge mitzunehmen. Zu dem Zeitpunkt, wenn wir uns ins Auto setzen, ist das Feuer schon nah, doch der Weg hinunter ins Tal ist frei, und es dauert keine zehn Minuten, bis wir da sind. Miriam hat die Feuerwehr per Handy alarmiert, und sie kommen uns auf der Straße entgegen, zwei große Wagen, die Sirenen eingeschaltet. Ich parke bei der Kirche und weiß, es ist alles gutgegangen, ich drehe mich um und sehe die Kinder auf dem Rücksitz, und es zerreißt mich fast vor Glück, denn ich habe es richtig gemacht, ich habe es rückgängig gemacht. Miriam legt mir eine Hand auf die Schulter, und Lukas sagt: ‹Glaubst du, es kommt noch ein Feuerwehrauto, Papa?›
Und dann wache ich auf.»
Er fühlte, wie ihm die Tränen übers Gesicht liefen, wischte sie aber nicht weg. Keine Kraft, die Hand zu heben. «Jedes Mal denke ich, diesmal bringt er mich um, der Moment, in dem mir klarwird, dass sie doch alle fort sind, für immer. Wissen Sie, was ich dann tue?»
Anja Maly schüttelte den Kopf, sie wirkte angegriffen. «Sagen Sie es mir.»
«Ich mache es schlimmer. Ich gehe in Gedanken zu dem Moment zurück, als ich gesehen habe, was das Feuer aus meinen Kindern gemacht hat. Verkohlte, verkrümmte … Dinge. Winzig. Wussten Sie, dass durch die Hitze Gliedmaßen abgesprengt werden können?»
Seine Erzählung setzte ihr sichtlich zu. Sie hatte selbst Kinder, das hatte ihm die Sprechstundenhilfe erzählt, und er konnte an ihren Augen sehen, dass sie das Bild wegzuschieben versuchte, das er mit seinen Worten zeichnete.
«Jedes
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