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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Stolz, wie brillant das Mädchen ist, wie gut sie formuliert, und ihr Stolz wird von einer tiefen Trauer begleitet, was für ein Fehler war es, was für eine Vergeudung, dass sie nicht noch ein Kind auf die Welt gebracht hat. Sie ist noch immer distanziert, es ist nicht sie, mit der sie lange Gespräche führt, und manchmal kommt sie mit feuchten Augen aus ihrem Zimmer, aber Dina, deren Magen durch Fasten geschrumpft ist, hat gelernt, sich auch mit Wenigem zu begnügen, und sie beobachtet gespannt, wie ihre Tochter sich verhält und versucht, sich zu beruhigen. Es gibt keinen Grund zur Sorge, Nizan isst normal, schläft gut, lernt prima, trifft Freundinnen, sie raucht und trinkt nicht, vorläufig geht das schwierige Alter gut vorbei, anders als damals bei ihr, die sich über der Kloschüssel die Kehle zerkratzt hatte und ständig von dem Geruch nach Erbrochenem begleitet war, und es kommt ihr vor, als flehten beide, ihr Mann und ihre Tochter, sie auf ihre verhaltene Art an, gib dich zufrieden, gib dich zufrieden mit uns, trotz unserer Mängel, gib dich zufrieden mit dir selbst, trotz deiner Mängel, kein Mensch ist vollkommen, keiner erfüllt all seine Wünsche, und sie versucht sich zu erinnern, was Nizan ihr damals sagte, bei diesem wunderbaren Gespräch in der Wohnung ihrer Mutter, da hat sie doch gesagt, du darfst nicht verzichten, oder hat sie gesagt, du darfst nicht meinetwegen verzichten, hat sie vielleicht nur versucht, die Verantwortung von sich wegzuschieben?
    Sie sitzt in diesem frühen Winter lange in ihrem Kontrollturm, ein kleiner Heizlüfter erwärmt den Raum mit den Glaswänden, die extrem auf Temperaturen reagieren, im Sommer ist es hier glühend heiß und im Winter eiskalt. Hinter den Scheiben sieht man eine langsame, unaufhörliche Bewegung, die Baumwipfel schwanken, Wolken schweben über den Himmel wie tote Fische, Vögel fliegen vorbei, und sie starrt durch die Glastür, die zum Schlafzimmer führt, bis sie das Gefühl hat, von schwebendem Leben umgeben zu sein, als würden ihr alle leise Bitten ins Ohr flüstern, gib auf, lass los, verzichte. Sogar der Kater, der auf ihren Arm springt, schnurrt, gib auf, lass los, mach Kompromisse, verzichte, du wirst sowieso nicht bekommen, was du willst, das Leben wird ab jetzt ohnehin nur aus Flicken bestehen, aus Zugeständnissen und Kompromissen, aus großen Verlusten und kleinen Freuden, das ist der Lauf der Welt, wer bist du, dass du etwas daran ändern könntest.
    Vielleicht sollte sie sich wirklich Teillösungen suchen, denkt sie und wagt es, in einem Heim für gefährdete Kinder anzurufen, bietet sich als ehrenamtliche Hilfe an, aber zu ihrer Enttäuschung wird ihr Angebot misstrauisch aufgenommen, man erkundigt sich nach ihren Qualifikationen. Nein, ich bin nicht gut bei Bastelarbeiten, muss sie zugeben, und ich verstehe auch nichts von Musiktherapie oder von Gymnastik. Was ich mit den Kindern machen kann? Ich kann ihnen Bücher vorlesen, stottert sie, einfach mit ihnen spielen, sie liebhaben. Auf der anderen Seite nimmt man ihre Personalien auf, aber es kommt kein Rückruf, und sie ist verlegen, als hätte man sie bloßgestellt, als wäre es ein Verbrechen, Liebe anzubieten, vielleicht braucht sie wirklich einen Mann und kein Kind, aber sie hat seit Jahren keinen Mann getroffen, der sie interessiert hätte. Nur an ihn denkt sie manchmal, an Etan, der sie so sehr geliebt hatte, und eines Tages, als bei ihr wieder Unterricht ausfällt, macht sie sich auf den Weg zu seiner Siedlung, aufgeregt fährt sie über die kurvigen Straßen der Jerusalemer Berge, wie grün die Hänge nach den ersten Regenfällen sind, zwischen den Felsen blitzen sogar schon die rosafarbenen Flecken von Zyklamen hervor.
    Am Dorfeingang fragt sie nach der Familie Harpas, man gibt ihr gern Auskunft und dann ist sie dort, sieht von weitem das riesige Haus. Er hat eine reiche Amerikanerin geheiratet, hat man ihr erzählt, aber keiner hat gesagt, wie schön sie ist, denn schon bald hält neben dem Haus ein großer Jeep und eine kleine Frau springt leichtfüßig heraus, mit hellen, lässig zusammengebundenen Locken, sie hebt ein Baby aus dem Auto, dahinter hüpft ein blondes, etwa dreijähriges Kind, Dina schaut ihnen mit grimmigem Herzen hinterher, sie sieht vollkommen gesund aus, und viel jünger als sie, eifrig und glücklich, sie hat keine Zeit, andere Häuser zu betrachten und andere Leben, die nicht gelebt wurden. Was fehlt ihr denn, mit einem geräumigen Haus voller Kinder, mit

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