Fuer den Rest des Lebens
und ob du dich wirklich für den Rest deines Lebens aufopfern willst.
Manchmal steigt aus dem Strom der Zeit, der vorwärtsbraust und sich zurückzieht, ein dichter Schaum, sie sehnt sich nach den ersten Tagen ihrer Liebe, die ihr so viel Kraft gegeben hat, was gab es da, was sie nicht akzeptiert hätte. Sie erinnert sich, dass ihre Mutter versucht hatte, sie zurückzuhalten, wie kannst du bloß Etan verlassen, jede Frau würde sich die Finger nach solch einem Ehemann lecken, das ist ein schrecklicher Fehler, und diese scharfe Formulierung machte ihr Vergnügen, sie hatte es also geschafft, ihre verträumte Mutter, die sonst immer in sich versunken war, aus der Fassung zu bringen. Was verstehst du überhaupt davon, sagte sie zu ihr, was verstehst du von der Liebe, denn Etans gute Eigenschaften hatten in dem Moment, als sie Gideon traf, ihre Anziehungskraft verloren, und sie wusste, dass ihre Mutter die Veränderung mit Angst verfolgte, sie hatte sich sowieso immer darüber gewundert, dass dieser vollkommene junge Mann sich für ihre Tochter interessierte, und jetzt sah sie traurig zu, wie sie sich trennten, und verzog das Gesicht beim Anblick des kleingewachsenen, verschlossenen jungen Mannes, der nun Etans Platz einnahm, aber Dina selbst war monatelang aufgewühlt. Sie liebte seine halb zusammengekniffenen Augen, die plötzlich aufstrahlten, sie liebte es, ihm zuzuhören, wieder und wieder wischte sie sich eine Träne aus den Augen, wenn er von seiner Mutter erzählte, die ihn früh zurückgelassen hatte, allein mit seinem Vater, einem Holocaustüberlebenden, der schwer arbeitete und schlecht schlief, der ihm immer wieder sagte, wie leid es ihm tue, und der sich sogar dafür entschuldigte, ihn in die Welt gesetzt zu haben. Wäre es nach mir gegangen, wärst du nicht geboren worden, versicherte er ihm glaubwürdig, aber deine Mutter wollte unbedingt ein Kind, und was ist jetzt, sie ist gestorben und hat mich mit dir zurückgelassen, entschuldige, mein Sohn, dass ich dich in diese schreckliche Welt gesetzt habe, er warf sich vor ihm auf die Knie und flehte um Verzeihung, und der kleine Sohn verzieh ihm jedes Mal, und Dina genoss es, ihm den Arm zu streicheln, wenn er erzählte, sie lagen nebeneinander auf der dünnen Matratze, über ihren Köpfen die hohen Kiefern, die die Luft mit ihrem harzigen Duft füllten, und es schien, als wären sie in einer höheren Sphäre, während sich das normale Leben unter ihnen abspielte, auf der Erde, und sie nichts anging. Dort unten lebten ihre Mutter und ihr Bruder und Etan und ein paar Freundinnen, aber hier oben auf dem Dach, zwischen den Wipfeln, war alles lebendig und scharf, der Schmerz und das Vergnügen und die Nähe, sie genoss seine Nähe auf eine ungekannte Art und Weise, er belastete sie nicht und er nahm ihr nichts weg, und wenn er schwieg, spürte sie seine Anwesenheit auch im Schweigen, und wenn er sprach, wunderte sie sich darüber, dass er die Worte wählte, die sie auch gewählt hätte, dabei gab er sich überhaupt keine Mühe, er versuchte nicht, ihr zu gefallen. Sie liebte es zu sehen, wie leicht er es auf der Welt hatte, gerade weil er keine Bestätigung brauchte, er fühlte sich wohl in seinem etwas zu kleinen, muskulösen Körper, er fühlte sich wohl in ihr, wenn sich ihre Beine um seinen Rücken klammerten und sie sich an ihn schmiegte, damit nicht der kleinste Spalt zwischen ihrer und seiner Haut blieb, und trotzdem blieb immer ein bisschen Luft, und die Versuche, sie zu verdrängen, verliehen jenen Tagen und Nächten etwas Fieberhaftes, das lange anhielt, einige fahre lang, und manchmal sogar danach noch aufblitzte, denn es ist das Nichts, das die Systeme in Bewegung bringt.
Was für ein stacheliges Paradoxon schafft der Raum, der gefüllt werden will, denkt sie, wir sehnen uns ausgerechnet nach dem, was uns hungrig macht, nicht nach dem, was uns sättigt. Manchmal hat sie mitten in der Nacht Lust, nach Hause zurückzukehren, sich nackt in ihr Bett zu schleichen, den Streit, der wie ein Felsbrocken zwischen ihnen liegt, einfach wegzuschieben und sich auf die Liebe zu konzentrieren, oder ihn zu sich einzuladen, aber sie weiß, dass es sinnlos ist, es würde sie nur schwächen, und vielleicht will er sie gar nicht mehr, sie hat keine Ahnung, was sich jetzt in seinem Leben abspielt, und es ist auch besser, es nicht zu wissen. Wenn sie an einem Zeitungsstand vorbeigeht, sieht sie manchmal auf der ersten Seite ein Foto, das er aufgenommen hat, entdeckt von
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