Fuer den Rest des Lebens
Tochter, als sie das Ende der Siedlung erreichen, dort stehen die terrassenförmigen Häuser, die an die Wüste stoßen. Schau, es fängt an zu regnen, sagt sie, wir müssen zurück, und Nizan protestiert, nein, noch nicht, es tröpfelt doch nur, erinnerst du dich noch an den ersten Schirm, den du mir gekauft hast? Ich habe ihn so sehr geliebt, dass ich ihn sogar in der Wohnung aufspannte und damit herumlief, und Dina sagt, jetzt könnte uns ein Schirm nicht schaden, schau, was für eine schwarze Wolke, genau über uns, und als sie den Blick hebt, bemerkt sie eine Frau, die im Haus gegenüber auf die Terrasse geht, um die Wäsche abzunehmen, und sie denkt, das ist Orli, vielleicht weil sie vorhin an sie gedacht hat, aber manchmal ist es ja auch so, dass man an jemanden denkt und ihn dann plötzlich trifft, es ist eine Dachterrasse im ersten Stock, voller Blumentöpfe, es ist eine schöne, füllige Frau, ihre kupferroten Haare wehen im Wind, sie nimmt die Wäsche ab und verschwindet in der Wohnung, ist sie es wirklich? In den ersten Jahren hatte sie ständig das Gefühl, sie irgendwo zu sehen, immer wieder weckten rote Locken Hoffnung und Schuld und Sehnsucht in ihr, sie suchte nach ihr, versuchte, etwas über sie herauszubekommen, ist sie es jetzt? Sie könnte ja einen Blick auf die Briefkästen werfen, sie könnte sogar klingeln, doch sie zieht es vor, weiterzugehen, wenn sie nicht hier ist, dann in einem anderen Haus, auf das eine andere Wolke Regen fallen lässt, in einem anderen Haus, in einem anderen Land, ob sie sich an stürmischen Tagen wohl auch an früher erinnert?
Sie möchte den Wind einatmen, verschlucken, er soll ihr Innerstes aufwühlen, das Leben bewegt sich in riesigen Kreisen, manchmal reicht das Leben eines Menschen nicht, den Kreis zu vollenden, und die Nachkommen verstehen nicht mehr, worum es geht, eigentlich ist auch sie weit davon entfernt, den Sinn der Dinge zu verstehen, sie kann nur die einfachen Fakten aufzählen, soundso ist es damals gewesen, auch wenn sie sich heute anders verhalten würde, und sie legt den Arm um ihre Tochter und gemeinsam stemmen sie sich gegen den Wind, der sie in die Wüste wehen möchte.
Am Abend ruft sie Gideon an, ich muss dir etwas erzählen, und er reagiert erstaunt, seit ihrem Geburtstag haben sie kaum ein paar Worte miteinander gewechselt, und sie fragt, erinnerst du dich an Orli? Sie holte tief Luft, ich glaube, ich habe sie heute gesehen, hier, im Viertel meiner Mutter, und Gideon ist unbeeindruckt, ja, ich weiß, dass sie wieder in Israel ist, ich habe sie vor ein paar Monaten auf der Straße getroffen, als ich Nizan zur Ballettstunde gebracht habe, sie hat dort auf ein Mädchen gewartet, aber ich glaube nicht, dass sie in Ost-Talpiot wohnt. Wo denn?, fragt sie, verblüfft durch die Fülle der Informationen, und er sagt, ich erinnere mich nicht genau, irgendwo außerhalb der Stadt, sie hat umgeschult, sie leitet jetzt einen Risikokapitalfonds, wenn ich richtig verstanden habe, ich weiß es nicht mehr, es ist schon eine Weile her. Warum hast du es mir nicht erzählt, als du dich noch erinnert hast, fragt sie, warum hast du es mir verschwiegen? Und er sagt, es war doch immer ein schwieriges Thema für dich, ich habe nicht gewusst, wie du reagieren würdest, und sie fragt sich, wie sie wirklich reagieren würde, was für einen Wert hat diese Information für ihr Leben, komm doch zu mir, Gideoni, flüstert sie, gleich, vielleicht werde ich ja ganz gut reagieren, und er sagt, wie soll ich kommen, ich habe hier ein Mädchen, das von seiner Mutter im Stich gelassen wurde, ich bin ein allein erziehender Vater.
Sie lacht, deine Tochter ist groß, du kannst sie für ein oder zwei Stunden allein lassen, und er erwidert, das ist die Zeit, die du mir zugestehst, ein oder zwei Stunden? Und wenn ich mehr möchte? Ein leicht aufkommender Gegenwind ist ihnen aus jenen Tagen geblieben, aus ihrer gemeinsamen Zeit, ein Komma in der Geschichte der Menschheit, aber fast zwanzig Jahre ihres Lebens, und sie erinnert sich, wie er sie damals unterstützt hatte, du hast recht, hör auf, dich selbst zu bestrafen, das tut dir nicht gut, du hättest die Stelle bekommen müssen, und sie fragt, sie hat also eine Familie, sie hat einen Mann und Kinder? Und er sagt, sie hat so viel geredet, dass ich kaum mitgekommen bin, aber sie hatte bestimmt ein oder zwei Kinder dabei.
Und was ist das eigentlich, Risikokapital?, fragt sie, und er lacht, musst du das auf der Stelle wissen? Und sie
Weitere Kostenlose Bücher