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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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sagt, nein, nicht unbedingt, ich kann auf die Antwort warten, bis du kommst und es mir erklärst, und er sagt, tut mir leid, Dini, es lohnt sich nicht, sobald du mir sagst, dass du aufgibst, komme ich mit Freuden, dieser Junge trennt uns, er oder ich, und sie versucht mit fester Stimme zu sprechen, gute Nacht, Gideoni, und er seufzt, gute Nacht, und sie sieht ihn vor sich, wie er in ihrem Ehebett liegt und ohne Brille liest, das Buch dicht vor den Augen, sieht, wie es auf sein Gesicht sinkt und er einschläft, während die Nachttischlampe noch brennt, nein, sie will ihn nicht verlieren, und sie steigt aus dem Bett und wandert in der Wohnung herum, schaut in das Zimmer ihrer Mutter, die mit geschlossenen Augen auf dem Rücken liegt, die Hände auf der Decke, die Glieder so ordentlich neben dem Körper wie in einem Sarg, und wieder wundert sie sich über diese neue Existenz ihrer Mutter, die im letzten Jahr zu einem fast überirdischen Geschöpf geworden ist.
    Ausgerechnet zu einer Zeit, in der die meisten ihrer Altersgenossen nur mit ihren Wehwehchen beschäftigt sind und ihre Familien mit ihrem erlöschenden Körper und ihrem schwindenden Geist belasten, gelingt es ihrer Mutter, sich über alle körperlichen Bedürfnisse zu erheben, sie verlangt nichts und klagt nicht, sie lässt sich von Röchele waschen und die Windeln wechseln, sie isst gehorsam und schluckt ihre Medikamente, doch abgesehen davon ist sie kaum wirklich anwesend, nur in wenigen klaren Momenten überrascht sie sie mit vernünftigen Sätzen, sodass Dina manchmal das Gefühl hat, sie stelle sich nur schlafend und höre ihnen aufmerksamer zu als je zuvor, als verfolge sie alles, was um sie herum geschieht, als wolle sie herausbekommen, wie das Leben nach ihrem Tod weitergehen würde, es ist, als befinde sie sich in einem dritten Zustand, weder lebendig noch tot, weder wachsend noch stillstehend.
    Wie simpel diese Aufteilung doch ist, scheint ihre Mutter sagen zu wollen, ausgerechnet die Eigenschaften, die ihr das Leben so schwergemacht haben, tun ihr in ihren letzten Tagen gut, es gibt Menschen, denen es gelingt, gut zu leben, während andere gut sterben, und dieser dritte Zustand steht ihr gut, bringt neue und edle Züge an ihr hervor, ach, Mutter, ausgerechnet dann, wenn alle verwelken, fängst du an zu blühen, sagt sie laut, und ihre Mutter macht die Augen auf und lächelt sie schalkhaft an, und sie weiß nicht, ob in diesem Lächeln vollkommene Zustimmung oder vollkommenes Unverständnis liegt, und sie lässt sich erschöpft in den Sessel neben ihrem Bett sinken. Wie weiß man, was man tun muss? Wie weiß man, was falsch ist? Schließlich zeigt sich erst im Lauf der Jahre das ganze Bild, und obwohl ihre Mutter schweigt, kommt es ihr vor, als wisse sie die Antwort, wisse, dass es keine Antwort gibt, vermutlich sind die meisten Dinge weder ganz richtig noch ganz falsch, die Frage ist, was wir mit ihnen tun, denn wieder erscheint ein Lächeln auf ihren Lippen und ihre Finger bewegen sich auf ihrem Arm, mit runden Bewegungen, als habe sie einen Stift in der Hand und schreibe etwas, und Dina lässt sich tiefer in den Sessel sinken, auf eine seltsame Art fühlt sie sich beschützter als je zuvor in ihrem Leben. Wie könnte diese sterbende alte Frau sie beschützen? Was für ein lächerlicher Gedanke, und trotzdem ist die Vorstellung da, dass sie sie halten würde, wenn sie fiele, und ihr Griff wäre weich wie die Decke, die sie aus dem offenen Schrank nimmt, um sich zuzudecken, und da schläft sie ein, im Sessel neben ihrer lächelnden Mutter, gut, dass Gideon nicht kommt, denkt sie, schließlich hatte ich schon Nächte mit ihm, auf die eine oder andere Art, aber eine Nacht wie diese hatte ich noch nie, und ich werde sie auch nie wieder haben, denn alles wird sich ändern.
    Am Morgen wird sie vom Telefonklingeln geweckt, sie erschrickt, als sie seinen Namen auf dem Display sieht, vielleicht tut es ihm leid, dass er mich zurückgewiesen hat, denkt sie, vielleicht wird er vorschlagen, heute Nacht zu kommen, aber er ist scharf und sachlich, Nizan ist erst gegen Morgen nach Hause gekommen und seither sitzt sie im Bett und weint, berichtet er, sie will mir nicht sagen, was passiert ist. Ich muss gleich los, du solltest also herkommen und meinen Platz einnehmen, man kann sie jetzt nicht allein lassen, und sie sagt, natürlich, ich komme sofort, sie zieht sich rasch an und verabschiedet sich von Röchele, die schon in der Küche herumwerkelt und dabei eine

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