Fuer den Rest des Lebens
weitem sein Konterfei, wie schafft er es, sich so viele Jahre in so gutem Zustand zu halten. Er arbeitet also wie immer, er weckt Nizan am Morgen und fährt sie zur Schule und kommt früh von der Arbeit zurück, um den Abend mit ihr zu verbringen, er kauft ein und bereitet die Mahlzeiten, er passt auf, dass sie rechtzeitig schlafen geht, das alles weiß sie von ihrer Tochter, die ihr amüsiert von den Aufgaben ihres allein erziehenden Vaters erzählt und ihre Mutter ohne Vorwurf an allem, was er tut, teilhaben lässt, doch darüber hinaus weiß sie nichts, sie weiß nicht, mit wem er sich unterhält, wen er trifft, was er plant, und ob sie ihm fehlt, kann sie ihre Tochter nicht fragen, die erstaunlicherweise keineswegs bedrückt zu sein scheint wegen dem, was ihr geschehen ist und was sie erwartet.
Fast jeden Tag besucht sie sie bei ihrer Großmutter, nach der Schule, und es zeigt sich, dass Nähe nicht vom Zusammenwohnen gefördert wird, denn die Besuche bedeuten eine helle, reine und störungsfreie Zeit. Schon lange haben sie nicht mehr so viel Zeit miteinander verbracht, stellt Dina erstaunt fest, es ist, als führe ihre Trennung dazu, sich gegenseitig mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als würden sie beide spüren, dass etwas unvergleichlieh Kostbares zu Ende geht. Ist es die Kindheit? Sind es ihre Rollen als Mutter und Tochter, die sich auflösen, doch ausgerechnet darüber sprechen sie kaum, sie versucht es zwar manchmal, aber Nizan weicht aus, lass es, das ist etwas zwischen dir und Papa, das habe ich doch schon gesagt, und ich habe auch gesagt, wenn es dir so wichtig ist, solltest du nicht darauf verzichten, alles andere wird sich schon irgendwie regeln.
Manchmal spricht sie liebevoll spöttisch von ihrem Vater, erzählt von seinen Misserfolgen im Haushalt, er hat mir alle Anziehsachen rosa verfärbt, sie kichert, seine Pasta ist schrecklich, er nimmt sie nie rechtzeitig heraus, und wenn Dina vorsichtig sagt, das ist bestimmt schwer für dich, so ganz allein mit ihm zu sein, antwortet Nizan, hör auf, Mamale, fang bloß nicht an, meine Therapeutin zu sein, ich weiß, dass das nur vorübergehend ist, und es ist überhaupt nicht schwer, es ist manchmal sogar eine angenehme Abwechslung, ich habe mein eigenes Leben, weißt du, sie kichert, doch auch darüber lässt sie sich nicht weiter aus, manchmal piept ihr Handy und sie schreibt schnell eine SMS, ihre Finger tanzen über die Tastatur, und ab und zu geht sie auch zur Seite und spricht leise, und Dina beobachtet sie neugierig, alles kommt ihr leichter vor, seit sie das Haus verlassen hat, als entwickle sich jetzt eine neue Beziehung zwischen ihnen, Nizan ist heiterer, vielleicht gesünder? Ist so die Gesundheit, distanziert und schwerelos?
Manchmal lacht Nizan, wenn sie kommt, hier ist es wie bei einer Nachmittagsbetreuung, ich esse hier und mache Hausaufgaben und dann gehe ich wieder nach Hause, und sie setzt sich im Wohnzimmer auf den Fußboden und holt Bücher und Hefte aus ihrer Schultasche, wir haben in Geschichte sehr viel aufbekommen, schimpft sie, bis zum Sommer seid ihr doch fertig mit eurem Durcheinander, nicht wahr? Ich verlasse mich darauf, dass du mir bei den Abiturvorbereitungen hilfst, und Dina lächelt sie an, natürlich, ich warte schon seit Jahren darauf, auch wenn ich den Eindruck hatte, dass du leicht ohne mich zurechtkommst, und tatsächlich steht Nizan nach kurzer Zeit auf und streckt sich, so, ich bin fertig, sagt sie, ich schaue jetzt mal nach Oma.
Als sie ins Zimmer zurückkommt, beklagt sie sich, warum schläft sie die ganze Zeit, ich hätte mich so gern mit ihr unterhalten, und Dina sagt, Hauptsache, sie sieht ruhig aus, sie träumt, denkt sich Geschichten aus, das tut sie am liebsten. Wollen wir ein bisschen spazieren gehen?, schlägt Nizan vor, es ist wirklich angenehm draußen, bis wir zurückkommen, ist sie bestimmt aufgewacht, und Dina sagt, gern, ich brauche ein bisschen frische Luft, ich war heute noch nicht draußen.
Nizan lacht, hier in diesem Viertel fehlt es wirklich nicht an Luft, und tatsächlich geht ein kräftiger Wind, lauert zwischen den Häusern, wirbelt um die lächerlichen Bögen, komm, springen wir, hatte Orli damals auf dem Dach gesagt, komm, sterben wir zusammen. Ihre Haare verfangen sich in Nizans honigfarbenen Haaren, und sie betrachtet sie erstaunt, wie schön sie ist in der schwarzen Weste und dem Pullover, dessen Türkis ihre königliche Blässe betont, und sie legt den Arm um die Schulter ihrer
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