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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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schaute. Wenn Nizan dabei war, tat es weniger weh, aber dort, ohne sie, kamen ihr die Tage unendlich lang vor, und der Zwang, sich zu amüsieren, wurde für sie zur Qual, und eigentlich wollte sie nur nach Hause. Die Schönheit der Stadt lastete schwer und drohend auf ihr, während sie versuchte, das Mädchen aus der Entfernung zu beobachten, jetzt wacht sie auf, jetzt geht sie in den Kindergarten, jetzt kommt sie zurück. Eine tiefe Traurigkeit, als würden sie sich nie mehr sehen, packte sie, als sie neben ihm durch die Paläste lief, sie bemerkte nicht die Sehenswürdigkeiten, sondern nur die Kinder der Touristen, die an ihr vorbeigingen, es fiel ihr schwer, den Anblick eines Kindes zu ertragen, ohne dass ihre Tochter neben ihr war, ihre Ohren spitzten sich, wenn sie Kinderstimmen hörte. Ständig schien ihr, sie werde mit ihrem Namen gerufen, nicht mit dem Namen, den ihre Eltern ihr gegeben hatten, sondern mit dem, den ihre Tochter ihr gegeben hatte, Mama, Mama, hörte sie die hellen Stimmen der Kinder rufen, Mama, schau, wie ich springe, Mama, ich habe Hunger, ich bin müde, ich möchte das oder das.
    Letztlich ist es eine enttäuschende Stadt, sagte sie zu ihm, als sie am letzten Abend ins Hotel kamen, eine narzisstische Stadt, die nur im Auge des Betrachters existiert, es gibt keine Diskrepanz zwischen ihr und ihrem Image, es gibt keine lokale Wahrheit, die sich eröffnet, nur eine Täuschung, es ist, als würde sie, wenn keine Touristen mehr kämen, einfach untergehen und verschwinden. Von unten, vom Platz, drang Gelächter herauf, und einen Moment lang hatte sie das Gefühl, verspottet zu werden, schließlich bist du ebenfalls abhängig von seinen Blicken, schließlich gehst auch du unter, und er öffnete eine weitere Weinflasche, ich bin so daran gewöhnt, Hässliches zu fotografieren, und es macht mir wirklich nichts aus, sagte er, was ist schlecht an ein bisschen Schönheit? Wie gut erinnert sie sich an jene Nacht, an das Kitzeln des Prosecco in ihrer Kehle, an das dumpfe, beängstigende Gefühl der Täuschung, auch als er leidenschaftlich mit ihr schlief, auch als er sich an sie schmiegte und sofort einschlief, mit der Hand auf ihrem Bauch. In den Zimmerecken schwebten Reliefs von geflügelten Kindergestalten über ihr, vielleicht war auch er unter ihnen, der Junge, der ihnen nicht geboren worden war, und schaute ihnen nun zu, sie bedeckte schnell ihrer beider Blöße mit der Decke, und erst am nächsten Morgen, an ihrem letzten Tag dort, beruhigte sie sich ein wenig, kaufte eilig ein Geschenk für ihre Tochter, nur für ein Geschenk für ihre Mutter strengte sie sich an, angespannt, als gäbe es auf dieser Welt irgendetwas, was sie zufriedenstellen würde, etwas, das sie für die erbärmlichen Verkettungen, die ihr Leben ausmachten, entschädigen würde, und als sie jetzt den weichen Stoff über den Wölbungen der knochigen Knie ihrer Mutter berührt, fragt sie sich verwundert, warum sie ausgerechnet an diesem Morgen zum ersten Mal daran gedacht hat, das vergessene Geschenk anzuziehen, nur damit es von den Händen des medizinischen Personals zerrissen wurde, als sie sie wiederbelebten, sodass es aussah wie das Hemd einer Trauernden bei einer Beerdigung.
    Als Kind hatte sie ihre Mutter so selten im Nachthemd gesehen, dass sie eigentlich immer überzeugt war, sie würde sich in ihrer einfachen Alltagskleidung zum Schlafen hinlegen, und einmal, als sie mitten in der Nacht aus dem Kinderhaus geflohen war und ihre Mutter ihr die Tür geöffnet hatte, überrascht, sie zu sehen, und eingehüllt in einen weichen, angenehmen Stoff, hatte sie einen Moment lang geglaubt, es wäre ein prächtiges Festkleid und sie sei in ein heimliches Fest geraten, das hinter ihrem Rücken gefeiert wurde, und auch jetzt weckt die Berührung des Stoffs eine schmerzliche Sehnsucht, zögernd hebt sie auch die zweite Hand und streichelt die Ränder des Nachthemds, senkt sich fast auf die Knie der Mutter, und hätte sie jemand von der Seite betrachtet, wie der Arzt, der sich nähert, wie ihr Bruder Avner, der auf dem Bett nebenan liegt, hinter dem Vorhang, er wäre überzeugt, dass sie die rissige Haut der Beine liebevoll streichelt, als wolle sie sich nicht verabschieden.
     
    Beide hören sie also die Fragen des Arztes, des Spezialisten, der gelassen die Personalien der fast achtzigjährigen Chemda Horowitz aufschreibt, Witwe, zwei Kinder, die Namen der Medikamente, die sie bekommt, ihre medizinische Vorgeschichte, die Dina mit

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