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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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versteht er, dass der kranke Mann nach der Entlassung nicht die Kraft gehabt hätte, den Parkplatz zu erreichen, bestimmt hat er sich neben dem Eingang hingesetzt und wartet auf seine Frau, dort muss er ihn suchen, es kommt ihm sogar vor, als erkenne er seine zusammengesunkene Gestalt auf einer der Bänke, doch als er seine Schritte in diese Richtung beschleunigt, hat er keine Wahl, er muss an seiner bewusstlosen Mutter vorbeigehen, und an seiner Schwester, die das Bett festhält, ihn erstaunt anschaut und ihm zuwinkt. He, Avni, wo warst du? Ich habe gedacht, du bist einfach weggegangen, ohne auf mich zu warten. Und er sagt, wieso denn, ich war die ganze Zeit hier, ich bin nur mal schnell hinuntergegangen, um etwas zu trinken, sein Blick konzentriert sich auf das, was neben dem Tor passiert, und sie sagt, warte einen Moment hier, ich muss zur Toilette, und sofort ist sie verschwunden, als könne sie seine Anwesenheit nicht ertragen, und er, gegen seinen Willen gefangen, überlegt, ob er seine Mutter einen Moment im Stich lassen und zum Tor laufen könnte, was soll schon passieren, schlimmstenfalls verpassen sie einen Termin, trotzdem wagt er es nicht, die alte Frau mit dem offen stehenden Mund unbeaufsichtigt zurückzulassen, er ändert seine Meinung und schiebt das Bett rasch vorwärts, rennt fast, als wäre er ein Pfleger, der eine Kranke zu einer dringenden Operation bringt, bahnt sich mit ihrer Hilfe einen Weg zum Krankenhauseingang, nur um herauszufinden, ob er recht hat und ob es ein Fehler war, nicht gleich dorthin zu laufen, statt sich auf das Bett in der Notaufnahme zu legen, denn dort, am Eingang, hat der Mann gewartet, und jetzt bleibt ihm nichts anderes als zuzuschauen, wie er vorsichtig zu einem goldfarbenen Citroen geführt wird, ein unheilbar Kranker, der allen Ärzten und allen Medikamenten den Rücken zukehrt, allen Fragen, Hoffnungen, Untersuchungen und Forderungen, und sich zu dem Ort begibt, an dem die letzten Worte gesprochen werden, an dem ein bewegungsloser Tanz stattfindet, ein tonloses Lied gesungen wird. Enttäuscht folgt sein Blick dem Heck des sich entfernenden Autos, während er sich die letzten Schritte des Kranken auf seinem qualvollen Weg vorstellt, und schon geht er gedankenlos auf den Parkplatz zu, sucht in der Tasche nach dem Schlüssel, bis er sich mit Schrecken daran erinnert, dass er seine bewusstlose Mutter am Eingang hat stehen lassen, er rennt schwerfällig die heiße Einfahrt hinauf, tritt außer Atem durch die Tür, und obwohl er gerade erst hinausgegangen ist, wird er vom Wachmann so sorgfältig kontrolliert, als wäre er ein neuer Besucher.
    Niemand hat das Bett berührt, stellt er erleichtert fest, es ist, als sei das Bett mit seiner Mutter darin zum festen Inventar des Krankenhauses geworden, am Boden befestigt wie die Sessel in der Sitzecke, doch vom Bett aus läuft seine Schwester auf ihn zu, mit einem Ausdruck im Gesicht, den er so gut vom Gesicht seiner Frau kennt, Ekel, Verachtung und Wut, und sie faucht ihn an, bist du noch normal? Wo warst du? Ich suche euch im ganzen Krankenhaus, ich habe schon geglaubt, es ist was passiert! Und auch er atmet schwer vor der Weiblichkeit, die ewig recht hat, die schmerzhaft recht hat, er senkt den Kopf und murmelt, ich habe einen Freund getroffen, ich habe ihn kurz nach draußen begleitet, mach doch kein Theater daraus, und als sie sich so gegenüberstehen, jeder auf einer Seite des Bettes, der Körper, der sie irgendwann einmal verbunden hat, verbindet sie auch jetzt, fast gegen ihren Willen, aber, wie üblich, trennt er sie auch voneinander, trifft sein gesenkter Blick den Blick seiner Mutter, einen erstaunlich durchsichtigen Blick, aufgeregt, fast fröhlich.
    Papa?, brüllt es ihm aus ihrem zahnlosen Mund entgegen, und er schaut sich verwirrt um, als hätten die Silben nicht ihm gegolten, als hoffte er, dort ihren sagenhaften Vater zu sehen, der vor seiner Geburt gestorben ist, aus der Totenwelt auferstanden und bereit, seine greise Tochter in den Arm zu nehmen, aber sie heftet den Blick auf ihn und wiederholt, Papale? Sie schickt ihm das schmeichelnde Lächeln eines kleinen Mädchens, das einer Strafe entgehen will, ihre Hand greift nach seiner und er weicht zurück, Mama, ich bin’s, Avner, auch Dina ist hier, fügt er hinzu, wirft seiner Schwester einen Blick zu, damit sie seine Worte bestätigt und ihm hilft, ihre Mutter mit einer dünnen Wortkette in diese Welt zurückzuziehen, aber seine Mutter ignoriert, was er sagt,

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