Fuer den Rest des Lebens
Geburt sind aufregend und schwer, es wird alles gut, ich verspreche es dir, aber als sie in Noas feucht gewordene Augen blickt, erkennt sie eine tiefe Schwermut, es ist, als schaue sie in einen Brunnen, und sie sagt, wenn du dich nach ein paar Wochen nicht besser fühlst, solltest du zu einem Arzt gehen, vielleicht ist es eine postnatale Depression, er wird dir etwas geben und alles kommt in Ordnung, ich habe das nicht gehabt, aber meiner Mutter ist es nach meiner Geburt passiert, sie stößt die Worte aus, die sie selbst weit mehr erstaunen als ihre Gesprächspartnerin, denn sie hat sie noch nie laut ausgesprochen, noch nie diesen Gedanken ausdrücklich gedacht, aber jetzt trifft sie die Erkenntnis, die keiner weiteren Erklärungen bedarf, Erklärungen, die im Moment ohnehin nicht möglich sind und vielleicht nie mehr möglich sein werden.
Kraftlos lässt sie sich auf den leeren Stuhl neben dem Bett ihrer Mutter fallen. Ihr Bruder hat sich offenbar aus dem Staub gemacht, obwohl sein Geruch noch in der Luft hängt, ihr kommt es vor, als habe sie ihn vom Stuhl wischen müssen, bevor sie sich setzen konnte, der Geruch eines Mannes, der sich allzu sehr bemüht, die Spuren seines Körpers zu verwischen, und sich mit schweren, erstickenden Sprays einsprüht. Früher, in ihrem Kibbuz, hatte keiner etwas von Parfüms für Männer gehört, nur Avni hatte sich mit seinen Präparaten und seinen akkuraten Frisuren lächerlich gemacht, manchmal hat sie sogar vermutet, er würde heimlich das Raumspray von der Toilette benutzen. Wie konnte er es wagen, vor ihrer Ankunft seine Wache aufzugeben, fragt sie sich erstaunt, trotzdem empfindet sie eine gewisse Befriedigung darüber, dass er nicht hier ist, so muss sie sich nicht verstellen, muss den inneren Aufruhr nicht verbergen, für den sie sich schämt, denn es ist nicht die Trauer angesichts der alten Mutter, die vor ihr liegt, ihr Hemd ist zerrissen, als habe man sie brutal vergewaltigt, die Brust entblößt und übersät mit weißen Aufklebern, wie Saugstellen des Todesengels, ihr zahnloser Mund neben dem zur Seite gerückten Sauerstoffgerät ist zu einer ewigen Klage geöffnet, der Hals gekrümmt und ihre Gurgel seltsam gewölbt. Ungeduldig betrachtet sie den schauderhaften Anblick, nicht erstaunt, als ob sie diese grobe Hässlichkeit ihrer Mutter immer schon gesehen hätte, auch damals, als sie jung und gesund gewesen und auf die ihr eigene, träumerische Art im Kibbuz herumgelaufen war.
Brechreiz steigt in ihrer Kehle auf, als sie die ausgetrockneten Hauttaschen betrachtet und sich vorstellt, ihre Lippen würden auf dieser Haut nach der Brustwarze tasten. Auch wenn Dutzende von Jahren seither vergangen sind, sind es doch immer noch dieselben Lippen, ist es noch immer dieselbe Brustwarze, die von dem mit grauen Blüten übersäten Nachthemd bedeckt wird. Es ist das Nachthemd aus Venedig, erkennt sie plötzlich, sie hat es vor mindestens zehn Jahren dort gekauft und ihre Mutter hat es nie getragen, und die Erinnerung an jene Reise weckt in ihr einen scharfen Schmerz, als hätte dort etwas angefangen, dessen Auswirkungen sich bis zu diesem Morgen erstrecken, hatte sie sich damals mit etwas abgefunden, mit dem sie sich vielleicht nie hätte abfinden dürfen?
Gideon und sie hatten die kleine Nizan bei ihrer Mutter gelassen, es war das erste Mal, dass sie ohne sie gefahren waren, und jetzt scheint es ihr, als hätten sich dort ihre Lebenswege in verschiedene Richtungen geteilt, denn sie hatten eine Erneuerung und ein Wiederaufleben ihrer ersten Liebe angestrebt, hatten sich nach all den Gesten gesehnt, die sie früher im Überfluss erlebt hatten. Die meisten Paare um sie herum waren mit sich selbst beschäftigt, zwischen den Gondeln und den Tauben, zwischen den Kanälen und den Brücken, aber Gideon beschäftigte sich nur mit den anderen, nicht mit ihr, er rannte aufgeregt mit seiner Kamera herum, zielte wie ein Heckenschütze und drückte immer wieder auf den Auslöser. Vielleicht biete ich der Zeitung eine Serie an, verliebte Paare in Venedig, was hältst du davon?, fragte er, und sie antwortete, klar, eine tolle Idee, und versuchte, ihre Kränkung zu verbergen, denn ihm fiel jedes Detail auf, nur nicht das neue Kleid, kurz und eng, das sie zum Abendessen trug, nicht der glänzende Lippenstift, den sie für diese Reise gekauft hatte.
Was willst du, das ist der Lauf der Welt, versuchte sie sich zu beruhigen, als er im Restaurant ihr gegenüber saß und über ihre Schulter
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