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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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sie betrachtet ihn erstaunt und glücklich, nichts stört ihre Freude, die gleiche Freude, die er manchmal auf dem Gesicht seines jüngsten Sohnes sieht, die vollkommene Verwirklichung aller geheimsten Wünsche, ihre Finger streichen zärtlich über seinen Arm, ich habe dich so vermisst, flüstert sie, es hat so lange gedauert, ich hatte Angst, dass du nicht zurückkommst.
    Er sieht, wie seine Schwester auf der anderen Seite des Bettgestells schwer atmet, ihre dunklen Augen sind feucht, sie hält die andere Hand ihrer Mutter, das ist Avner, das ist nicht dein Vater, sagt sie in ihrem autoritären Ton, als stünde sie vor der Klasse, wir sind im Krankenhaus, du bist wieder gestürzt, erinnerst du dich? Aber die alte Frau weist ihre Worte zornig zurück, lass mich, ich habe dich nicht gefragt, sagt sie, lass mich mit ihm allein, und sie schiebt die Hand ihrer Tochter weg und packt seinen Arm mit einer Kraft, die ihn für einen Moment an die kräftige Frau erinnert, die sie einmal war.
    Wir müssen zurück in die Notaufnahme und mit dem Arzt sprechen, sagt er, vermutlich ist wirklich etwas an ihrem Gehirn, und sie gehen den lärmenden Gang zurück, ein Vater und eine Mutter, beide nicht mehr jung, und ihr greisenhaftes Baby, das plötzlich in Tränen ausbricht, in ein lautes, heulendes Klagen, das immer wieder anschwillt und leiser wird, das faltige Gesicht ganz feucht. Nie hat er sie so gesehen, und das ist auch kein Wunder, schließlich hat er sie nicht gekannt, als sie ein Kind war, er zieht hilflos das jammernde Rollbett, Mama, beruhige dich, murmelt er, alles wird gut, gleich fühlst du dich besser, unbewusst wiederholt er das leere Versprechen, das er vor kurzem hinter dem Vorhang gehört hat, und schaut zu Dina, um in ihrem Gesicht so etwas wie Ermutigung zu finden, vor einem Moment war sie doch noch da, schob das Bett von hinten, ihre Locken hatten ihre Stirn verschattet, ihre langen Finger waren über das Bettgestell geglitten wie die Krallen eines Vogels, und jetzt ist sie weg.
     
    Mit klopfendem Herzen und brennenden Augen rennt sie zu ihrem Auto. Man darf sich von Kindern und alten Leuten nicht kränken lassen, das weiß sie, aber ausgerechnet von ihnen lässt sie sich wehtun, von ihrer Tochter und ihrer Mutter, wie hat sie ihre Existenz einfach geleugnet, hat sich auf den Arm ihres Bruders konzentriert und sie grob zurückgestoßen. Wäre es nur auf ihr Alter oder ihren Sturz zurückzuführen, könnte sie sich bestimmt zurückhalten, aber das Alter und der Sturz betonen lediglich das, was sie schon immer gewusst hat und was ihre Mutter bis zu diesem Morgen vor ihr zu verbergen versucht hat, doch nun kann sie sich nicht mehr verstellen, wie ihre entblößte Brust liegen ihre Gefühle offen da, wie ihre entblößte Brust in ihrer ganzen Hässlichkeit.
    Starke Hitze umfängt ihre Glieder, als sie die klimatisierten Gänge verlässt, und sie seufzt, wieder diese heißen Wüstenwinde des Sommeranfangs, die sie von Jahr zu Jahr schwerer aushält, ihr scheint es, als höre sie ihr Fleisch brutzeln, und erschrocken betrachtet sie ihre nackten Arme, das ist doch unvorstellbar, nur eine Hitzewelle, die beim Wüstenwind zunimmt und gleich wieder vorbei sein wird, jede Frau ihres Alters kennt das. Ich gehe gerade hinaus, meine Süßen, gleich werde ich daheim sein, hört sie eine junge Frau sagen, die neben ihr läuft und offenbar versucht, ihre wartenden Kinder zu beruhigen, in einer halben Stunde bin ich da, falls es keine Staus gibt, sie schickt das Versprechen durch ihr Handy, und Dina wirft ihr einen neidischen Blick zu, wie sehr fehlt ihr dieses Gefühl, dass zu Hause jemand auf sie wartet. Genieße es, würde sie der Frau, die ihr Auto vor ihr erreicht, am liebsten zuflüstern, genieße es, auch wenn es eine Last ist, es hält nicht ewig an, und sie holt ihr Handy aus der Tasche, sie muss mit Nizan sprechen, muss ihre Stimme hören, sie hat das Gefühl, als hätte sie sie wochenlang nicht gesehen.
    Mein Mädchen, gleich bin ich zu Hause, flüstert sie in das Gerät, aber das Mädchen antwortet nicht, trotzdem kommt es Dina vor, als kehre sie zu ihr zurück, während sie ins Auto steigt und ungeduldig losfährt, wie sie früher, als Nizan noch klein war, sich beeilt hatte, nach dem Unterricht heimzufahren, das Wissen, dass ihre Tochter auf sie wartete, lag wie ein Seil um ihren Hals, den sie gern hinstreckte. Oft war sie ihre Straße entlanggelaufen, förmlich gerannt, fast beschämt, was für eine Bedeutung

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