Fuer den Rest des Lebens
hatte damals jeder Schritt. Mama! Du bist wieder da! Die Kleine war ihr entgegengesprungen und zerrte sie hinter sich her, um ihr die Wunderdinge vorzuführen, kleine Häufchen Glück zeigten sich zwischen den Bausteinen, zwischen den Stofftieren und den zerfledderten Bilderbüchern, und auch als Nizan wuchs, als sie ein großes, ernsthaftes Mädchen geworden war, kam sie ihr aus ihrem Zimmer entgegengelaufen, wollte ihre Geschichten erzählen und alles zeigen, ihre Bilder und ihre Hefte. Wie angenehm war ihr damals das Nachhausekommen, auch wenn sie müde von einem schweren Arbeitstag war und ein langer Abend mit Korrekturen und Benotungen auf sie wartete, wie sehr sehnt sie sich jetzt danach zurück, und plötzlich hat sie das Gefühl, als liege es immer noch in ihrer Hand, als könne sie wieder zu dieser sehnsüchtig erwarteten Frau werden. Nizan ist sicher schon daheim, vielleicht wird sie ihr die Tür aufmachen und sich in ihre Arme stürzen, und sie wird spüren, wie die erloschene Kerze in ihr neu entbrennt, sie wird voller Freude ein leichtes Abendessen herrichten, sie werden zusammen in der Küche sitzen, siehst du, ich brauche nicht viel, um glücklich zu sein, rechtfertigt sie sich laut, nur eine Unterhaltung mit Nizan in der Küche, das Gefühl, von ihr gebraucht zu werden, noch nicht einmal Liebe, nur Gebrauchtwerden.
Der erste Moment des Treffens bestimmt seinen Fortgang, sagt sie laut, ich werde lächelnd die Wohnung betreten, als hätte ich angenehme Neuigkeiten erfahren, ich werde mich gut gelaunt an sie wenden. Wie lächerlich ist es doch, ich plane ein Zusammentreffen mit Nizan, als handle es sich um eine schicksalhafte Begegnung, und dabei ist sie meine Tochter, mein eigen Fleisch und Blut, aber diese Lächerlichkeit bringt kein Lächeln auf ihre Lippen, nur eine Last, die sie durch einfache Entschlusskraft vertreiben will, sie schaut in den Spiegel und zieht die Lippen nach, schwärzt die Lidränder mit einem Stift, Nizan erwartet sie, ohne Zweifel, und auch wenn sie nicht weiß, dass sie auf sie wartet, wartet sie auf sie. Sie wird die Wohnung mit einem Lächeln betreten, mit einem Gesicht, frei von Vorwurf und frei von Abhängigkeit. Und so wird sie sie zurückgewinnen.
Da ist ihre Tasche, im Eingang fallen gelassen, neben einem überflüssigen Pullover, den sie sie gestern Abend gezwungen hat mitzunehmen und der den Geruch nach Kohlen und im Feuer gegarten Kartoffeln verströmt, da sind ihre Sandalen, bestimmt ist sie in ihrem Zimmer. Nizani, ruft sie fröhlich, willst du etwas essen? Und als das Mädchen nicht antwortet, öffnet sie die Zimmertür, das Lächeln, das sie gerade vorbereitet hat, spannt ihre Lippen, und sie bleiben gespannt, als sie den Rücken ihrer Tochter betrachtet, die bewegungslos an der nackten Brust eines hellhaarigen Jungen mit geschlossenen Augen liegt. Auf ihrem schmalen Bett schmiegen sich die beiden aneinander, Arm in Arm schlafend wie Zwillinge im Bauch ihrer Mutter, und während sie verblüfft dasteht, öffnen sich die Augen des Jungen und ein verwirrter Blick trifft sie, und ein Lächeln begegnet über den Rücken ihrer Tochter hinweg dem eingefrorenen Lächeln auf ihren Lippen.
Mit kleinen Schritten geht sie aus dem Zimmer, den Blick noch immer auf sein Gesicht geheftet, und ohne sich von ihm oder dem Rücken vor ihm abzuwenden, als wäre das ein geheiligter Ort, stolpert sie in die Küche, stellt sich wieder ans Fenster, die Ellenbogen auf den kühlen Marmor gestützt. Was ist das, was sie gerade gesehen hat, und warum verwirrt es sie so sehr, dass sie das Gefühl hat, ihr Leben habe sich von einem Moment auf den anderen verändert, was ist so Erstaunliches an einer Sechzehnjährigen, die zum ersten Mal einen Jungen mit nach Hause bringt, ihre Oberkörper sind nackt, sie schlafen, und trotzdem kommt es ihr vor, als sei das ein verbotener Anblick, etwas Unnatürliches, als müsse, wer so etwas sieht, in der Zukunft einen Preis dafür bezahlen, auch wenn er nichts anderes getan hat, als zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort zu sein, denn sie weiß, dass sie jetzt eine andere Realität gesehen hat, eine Realität, die all die Jahre parallel existiert hat, eine Realität, in der Nizan und ihr nicht geborener Zwillingsbruder in den Krallen einer schrecklichen Sünde gefangen sind.
Mit zitternden Händen wäscht sie sich das Gesicht über dem Spülbecken, ihre Haare hängen in die fettige Pfanne, und während eine trübe Flüssigkeit aus ihnen auf
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