Fuer den Rest des Lebens
ihre Bluse tropft, läuft sie zurück, hält sich am Türrahmen fest und schaut hinein, betrachtet die kurzen Bettpfosten, das bunte Laken, das mit Kindermotiven bedruckt ist, die Füße, die nebeneinanderliegen wie zwei nicht zusammenpassende Paare, die dünnen Knöchel ihrer Tochter neben den Unterschenkeln des Jungen, ihre abgeschnittenen Jeans, die sich an seine Hüften drücken, ihren glatten, weißen Rücken, ihre spitzen Schultern, ihre Arme, die sich um seine Brust schlingen, während seine Arme nun neben seinem Körper liegen, er hat die Augen wieder geschlossen, als hätte der Anblick der grauhaarigen Frau, die ihn plötzlich ansah, seinen schönen Traum unterbrochen, doch trotz seiner geschlossenen Augen hat, sie das Gefühl, er schaue sie an, und trotz seiner geschlossenen Lippen kommt es ihr vor, dass er mit derselben verrückten Sicherheit, die sie am Morgen bei ihrer Mutter gesehen hat, immer wieder »Mama« murmelt.
Gideon, flüstert sie im Schlafzimmer nebenan, das Telefon an die Lippen gedrückt, und er reagiert sofort angespannt, ist etwas passiert? Und sie sagt, nein, alles in Ordnung, vergisst sogar, ihn zu informieren, dass ihre Mutter ins Krankenhaus eingeliefert wurde, sie zögert, wie sie ihm das, was sie gesehen hat, zu Ohren bringen kann, und fügt dann flüsternd hinzu, aber Nizan ist mit jemandem hier, sie schlafen in ihrem Bett, es ist so seltsam, sie versucht, ihm vorsichtig beizubringen, was sie gerade erlebt hat, und Gideon kichert, ach ja? Schön, also hat sie ihn endlich heimgebracht, ich habe zu ihr gesagt, dass sie die Initiative ergreifen kann und nicht auf ihn zu warten braucht, und Dina stürzt sich auf das bisschen rohe Information, was, sie hat dir erzählt, dass sie jemanden hat? Mir hat sie nichts gesagt, und Gideon sagt, sie hat vor einiger Zeit einen gewissen Noam getroffen, einen Freund von Schiris Bruder.
Von Schiris Bruder?, wiederholt sie unzufrieden, dann hat er bereits den Militärdienst hinter sich, ist mindestens fünf Jahre älter als sie, das kommt dir richtig vor? Sie verbirgt sich hinter den nebensächlichen Details, denn es ist nicht das, was sie bekümmert, sie weiß genau, wie alt er wirklich ist, schließlich ist er ihr Zwillingsbruder, und im Hintergrund hört sie, wie ihr Mann sich an seinen Begleiter wendet, nur noch einen Moment, es ist Dina, wobei er ihren Namen bedeutungsvoll ausspricht. Wer ist bei dir?, fragt sie, plötzlich misstrauisch geworden, und er antwortet, ich bin mitten im Fotografieren, Dini, gibt es noch etwas? Und sie fügt hinzu, ja, meine Mutter ist im Krankenhaus, sie ist gestürzt und hat das Bewusstsein verloren, und diesmal ist er es, der sich mehr aufregt als sie und nach Einzelheiten fragt, ich werde auf dem Heimweg dort vorbeifahren, verspricht er weich, obwohl es nicht das Versprechen ist, auf das sie wartet.
Ach, Gideon, sie seufzt, legt das Telefon hin und streckt sich angezogen auf dem Bett aus, der Anflug von Wärme, den sie in seiner Stimme wahrgenommen hat, weckt Sehnsucht in ihr, die ihr bitter in der Kehle aufsteigt, als hätte sie etwas Verdorbenes getrunken, etwas, das sie sorgsam zubereitet hatte, aber doch misslang, und es ist bereits zu spät, ihr kommt es vor, als wisse sie selbst nicht, was sie erwartet hat, es ist zu spät, sich ineinander zu verlieben, zu spät, ein Kind auf die Welt zu bringen, zu spät für ein neues Leben, aber war dieses Verdorbene nicht immer da, ach, Gideon, wenn wir noch einmal von vorn anfangen könnten, würde ich alles anders machen.
Wie eine weiße Leinwand liegt die Vergangenheit vor ihr, begibt sich in ihre Hand, damit darf man nicht anfangen, das weiß sie, während sie sich immer weiter ihrem gefährlichen Spiel überlässt, als wäre sie immer noch das kleine Mädchen, sie liegt auf dem Bett im Kinderhaus und stellt sich das Leben vor, das sie erwartet, die Zukunft, die sie von den anderen Kindern um sie herum unterscheiden wird, den Kindern, die keine Bücher lesen und in der Schule nicht so gut sind wie sie. Doch jetzt ist es eine Quälerei, sich genau vorzustellen, was hätte geschehen können und nicht geschah, und nur sie war schuld daran. Schau, da sitzt sie mit Orli und Emanuel in der Cafeteria der Universität, wie sie es fast jeden Abend tut, sie wahrt treu deren Geheimnis, Emanuel käme nicht einmal auf die Idee, dass sie es weiß, denn es scheint, als liebe und schätze er sie beide gleich hoch, seine beiden studentischen Hilfskräfte, seine beiden
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