Fuer den Rest des Lebens
geraten war, mit ihrer gewählten, reichen Sprache, er, dessen Leben dortgeblieben war, im Hafen von Hamburg, in den Armen seiner geliebten Eltern, und sie, die immer glaubte, ihr Leben habe noch gar nicht begonnen.
Und wo war ihre Mutter? Die schöne, immer beschäftigte Mutter, wieder konnte sie die Not der Tochter nicht erkennen, natürlich konnte sie es nicht, schließlich hatte sie den geliebten Ehemann verloren, stolz trug sie ihre Trauer, ging und kam, betrachtete sie mit derselben mitleidigen Neugier wie damals, als sie von ihrer langen Reise zurückgekommen war und ihre knospenden Brüste betrachtet hatte, aber wo war deine Mutter gewesen, wenn er dich in schwarzen Nächten voller Sturm und Regen aus dem Bett holte und dich, die weinte und um sich trat, zum Fischerboot zerrte? Er wollte, dass du so stark bist wie ein Mann, mutig und willens stark wie er, fand er sich deshalb so leicht mit der Abwesenheit deiner Mutter ab, damit er dich nach seinem Willen formen konnte?
Wie schwer war das Ruder in ihren kleinen Händen, als er ihr zeigte, wie man es ins Wasser schlug, flieht, Fische, flieht, wollte sie schreien, das ist eine Falle, glaubt ihm nicht, denn so tat man es damals, man schlug mit dem Ruder ins Wasser, um die Fische zu erschrecken, in ihrer Angst schwammen sie dann hinunter, direkt ins Netz, das in der Tiefe gespannt war, aber die Fische waren die kleinen Kinder des Sees und er würde sich immer nach ihnen sehnen, das wusste sie, sie empfand den Schmerz des Sees, der jede Nacht weitere Kinder verlor, und manchmal fürchtete sie seine Rache, lag nachts zitternd vor Angst im dunklen Kinderhaus in ihrem Bett, überzeugt, dass er gleich, nach den Trauertagen, aufsteigen und den Kibbuz überschwemmen und seine Bewohner ertränken würde, und erst nach Hunderten von Jahren würde man die Reste ihrer Knochen finden, wie Elefantenzähne und die Knochen von Urzeitmenschen, die man in den nahen Mooren gefunden hatte.
Er zwang sie, beim Fischen mitzumachen, er zwang sie, die armen Fische zu essen, doch egal wie stark der Zorn war, der in ihr aufstieg, nie wagte sie es, ihm längere Zeit böse zu sein, manchmal wurde sie von einer vorübergehenden Wut gepackt, die aber schnell von dem tiefen Glauben verdrängt wurde, er wisse bestimmt genau, was er tat, es konnte unmöglich anders sein, er war ein kluger, verantwortungsbewusster Mann, ihr Gewissen und ihr Kompass, er konnte sich nicht irren. Sein früher Tod unterbrach ihre Loslösung und ließ sie zurück, nahe bei ihm, nahe seinem Wesen, doch jetzt bekommt sie endlich die Chance, an seiner Autorität zu rütteln, deshalb ist er plötzlich zurückgekommen, er sitzt an ihrem Bett und betrachtet sie mit seinen schönen blauen Augen, und sie schüttelt wütend den Kopf und streckt ihm die Arme entgegen, nicht um ihn zu umarmen, sie will ihm wehtun, es ihm heimzahlen, Vater, es fällt ihr noch immer schwer, ihre Vorwürfe zu formulieren, die sich sofort in leises Jammern verwandeln, wie konntest du es wagen, mich zu einem anderen Menschen umzuformen, wie konntest du es wagen, mich so zurückzulassen, in der Luft hängend, zwischen Himmel und Erde, unfähig, das Mädchen zu sein, das du haben wolltest, und unfähig, das Mädchen zu sein, das ich eigentlich war?
Sie sieht sie genau vor sich, die beiden Mädchen, die eine hart, abgehärtet, die keine Angst kennt, und die andere, vorsichtig, verträumt und träge, und zwischen den beiden sie selbst, ihre Glieder zwischen beiden ausgestreckt, von der widersprüchlichen Kraft angezogen und abgestoßen, wie hätte sie zu einem vollkommenen, lebendigen Mädchen werden sollen. Sie ist so müde von diesem verwirrenden Tanz, der sich über zig Jahre erstreckt, über mehr Jahre, als ihr Vater alt geworden war, als ihre Mutter alt geworden war, als ihr Ehemann alt geworden war, und es gibt nur eines, was sie tun kann, die Hände um den schönen Hals ihres Vaters legen und ihn langsam ersticken, mit dem letzten Rest Willen, der ihr geblieben ist, um sie beide ohne jeden Lebenshauch zurückzulassen.
Ihre Arme packen ihn unvorbereitet, als er sich über sie beugt, um sein Ohr ihren Lippen zu nähern, um aus dem Jammern, das wie saures Erbrochenes aus ihrer Kehle kommt, einzelne Wörter herauszuhören, wie schnell wechselt ihr unschuldiges Glück in Vorwürfe, und während er in ihren Armen gefangen ist, erwacht in ihm das alte Zurückschrecken vor ihrer Berührung, plötzlich ist er ihrem knochigen Schlüsselbein so
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