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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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hervorbricht, wenn man seinen Deckel öffnet, und jeder, der sich an sie wandte, verbrühte sich, jedenfalls hielten sie sich fern, alle außer ihrem Vater, der sie an der Hand nahm und hinter sich herzog, kochend vor Wut. Du musst zur Sache antworten, du musst ihnen in ihrer Sprache antworten, in einer Gruppe ist jeder Außenseiter arm dran, warum musst du es dir immer so schwer machen? Manchmal dachte sie, er würde sie im See ertränken, dann wieder, er würde den See in ihr ertränken, aber im Lauf der Jahre fand er einen anderen Weg, seinen Zorn auf sie beide, sie und den See, zu dämpfen, indem er mit letzter Kraft Kanäle um den See herum anlegte, um ihn zu entwässern, und obwohl sie schon eine verheiratete Frau war, konnte sie den Gedanken nicht loswerden, dass er nur ihretwegen trockengelegt wurde, damit sie aufhörte, Geschichten zu erzählen.
    Dabei hatte sie ohnehin schon aufgehört, schon Jahre davor, die Erinnerungen des Sees weiterzuerzählen, sogar sich selbst und vor allem den anderen, dennoch meinte sie zu spüren, mit welcher Begeisterung sich ihr Vater, im Gegensatz zu den anderen erfahrenen Fischern, der Arbeit widmete, den Chulasee trockenzulegen, eine späte Rache, weil ihm der See die Tochter weggenommen hatte, eine Tochter, die sich seiner Erziehung widersetzte. Als die Arbeit schließlich beendet war und der ganze Kibbuz sich begeistert auf die neuen Ackerflächen stürzte, war ihr Vater der Erste, der nicht mit der gleichen Begeisterung reagierte, er war der Erste, der den schrecklichen Fehler erkannte.
    Sie erinnert sich, wie er unruhig die ausgedehnten Ackerflächen kontrollierte und misstrauisch den gewonnenen Torfboden prüfte, der sich so schnell entzündete, wie er zwischen den Chawerim herumlief und die allgemeine Freude störte, bis er eines Morgens nicht mehr aufwachte, und als sie ihn abends besuchen wollte, schwer an ihrer Schwangerschaft tragend, war er schon kalt und steif wie eine Marmorstatue, und auf seinem Gesicht lagen der gleiche Zorn und die gleiche Enttäuschung, die sie aus ihren ersten Jahren kannte, in denen sie sich geweigert hatte, zu laufen. Erstarrt blieb sie vor seinem Bett stehen, mit dem Gefühl, er würde die Hand ausstrecken, um sie zu schlagen, denn wieder war sie es, die nicht laufen konnte, und wieder er, der sie schlug, aus seinem Bett und aus seinem Tod heraus, und wieder war es keine mangelnde Selbstbeherrschung, sondern ein kaum zu ertragender Zwang, und sie legte die Hände auf den Unterleib und krümmte sich vor Schmerzen, wie geordnet seine Schläge waren, jede zweite Minute seufzte sie, sie fiel auf den Rücken und versuchte, den Schmerz aus ihrem Bauch zu reißen, den Schmerz der Schläge und den Schmerz der Liebe, den Schmerz des Lebens und den Schmerz über den Tod des geliebten Vaters, und als man sie dort fand, war es schon fast zu spät, wie durch ein Wunder schaffte sie es noch zum Krankenhaus, um Dina auf die Welt zu bringen, lange vor dem errechneten Geburtstermin.
    Die Geburt ihrer Tochter, der Tod ihres Vaters, die Unterwerfung des Sees, das alles hatte sich in ihrem Bewusstsein zu einem eitrigen Klumpen zusammengefügt, den zu berühren oder auch nur an ihn zu denken Übelkeit verursachte. Dass sie Mutter und Halbwaise zugleich war, hatte sie durcheinandergebracht, und sie kümmerte sich mehr um den toten Vater als um ihre lebende Tochter. Als wäre er noch immer darauf angewiesen, dass sie ihm verzieh, saß sie stundenlang an seinem frischen Grab, Milch tropfte aus ihren Brüsten und trocknete schnell, und auf dem Rückweg suchte sie nach dem See, glaubte, wenn sie nur genügend suchte, würde sie ihn finden, es konnte doch nicht sein, dass er für immer verschwunden war, dass seine machtvolle und übernatürliche Existenz durch Menschenhand vernichtet worden war. Hatte er sich vielleicht nur zusammengezogen, nicht so sehr in seinen Ausmaßen, sondern in seiner Erscheinung, und würde er sich in Zukunft nur jenen zeigen, die es verdienten, sie verdiente es doch, wer würde es mehr verdienen als sie, und so lief sie durch die neuen Weizenfelder, in deren Tiefen das Feuer flüsterte, und wartete, dass er mit seinem Geist, seinen Gerüchen, seinem Wasser und seinen Geheimnissen vor ihr auftauchte, und während der ganzen Zeit lag im Kinderhaus ein Baby in seinem Bettchen, vor der Zeit geboren, und saugte aus aller Kraft am Daumen, ein Baby, das nicht wie alle anderen Babys gestillt und getröstet wurde, sondern das von einem Fluch

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