Fuer den Rest des Lebens
sie fragt, mit wem warst du zusammen, als ich angerufen habe?
Mit einer neuen Reporterin von der Zeitung, du kennst sie nicht, antwortet er und richtet sich auf, schiebt sie von sich, und sie fragt, wie alt ist sie? Keine Ahnung, sagt er, vielleicht dreißig, und plötzlich wird sie von einem heftigen Neid auf diese Frau gepackt, nicht weil sie heute mit ihrem Mann in den Negev gefahren ist, falls sie überhaupt gefahren sind, nicht darauf, dass sie fünfzehn Jahre jünger ist als sie, sondern weil sie noch imstande ist, das zu verwirklichen, wonach sie sich so sehr sehnt, und während sie nun allein daliegt, hört sie, wie ihr Mann die Dusche anmacht, hört den starken Strahl, der ihren Körper von seinem spült, und sie möchte am liebsten aufstehen und sich zu ihm gesellen, wie sie es vor Jahren immer getan haben, sie möchte zusammen mit ihm unter dem heißen Wasserstrahl stehen, den Schmerz auflösen, aber eine Eiseskälte hält ihre Finger fest, steigt von ihren Zehen nach oben, die Beine hinauf, und sie zieht die Decke über sich, plötzlich schlagen ihre Zähne aufeinander und ihr Körper ist schwer und kalt.
So empfinden vielleicht Tote, sofern sie etwas empfinden können, die Schwere ihres Körpers, die Schwere ihres Todes, das Gewicht der Trennung, denn sie hat das Gefühl, getrennt zu sein, auf einmal schwerelos, haltlos wie ein Haar, das vom Kopf gerissen wird, wird sie jetzt von ihrem Körper gerissen, ein Windstoß dringt durch den Vorhang und sie fliegt davon, hilflos und willenlos, fliegt durch die Weiten des eiskalten Himmels, der keinen Anfang und kein Ende hat. Wie real ist ihr Nichtdasein, viel realer als ihr Dasein, wie viel realer als die Stimme, die ihren Namen ruft, sie versucht aufzuwachen, ist sie wirklich eingeschlafen, doch das war kein Schlaf, sondern eine Vision aus einer anderen Welt, ist es wirklich eine andere Welt, vielleicht hat sie gerade die wahre Welt gesehen und sieht jetzt, da sie die Augen aufmacht, eine imaginäre Realität, der nur die Zeit Gültigkeit verleiht.
Mühsam öffnet sie die Augen und versucht, ihre steifen Glieder zu bewegen, sie sieht, dass er vor ihr steht, mit nassen Haaren, und sein Jeanshemd zuknöpft. Du bist schrecklich blass, sagt er, vielleicht bist du krank, es geht gerade ein Virus um, mit Übelkeit und Schwindelanfällen, und sie antwortet nicht, sie will eigentlich, dass er weggeht, seltsam, dass seine Anwesenheit ihre Einsamkeit vergrößert, aber er bleibt und fragt, wann hast du heute Unterricht? Vielleicht solltest du absagen, und dann fällt ihm noch etwas anderes ein, und was passiert mit deiner Mutter? Sie schüttelt sich verwirrt, wie hat sie sie so leicht vergessen können. Schon immer hat ihre Tochter ihre Mutter verdrängt, als könnten sie nicht gemeinsam in ihrem Leben existieren, als fänden sie nicht beide Platz unter einem Dach, als könnte sie, Dina, nicht gleichzeitig Mutter und Tochter sein, an diesem Morgen, als sie nach Hause kam und sah, was sie sah, falls sie es überhaupt sah, wurde die Frau, die sie auf die Welt gebracht hatte, aus ihrem Gedächtnis gewischt, die Frau, die jetzt mit zusammengepressten Lippen im Krankenhaus liegt und sich mit letzter Kraft an ihr langsam schwindendes Bewusstsein klammert.
Viertes Kapitel
Wieder versucht er, das Löffelchen in ihren Mund zu schieben, ihr etwas von dem süßen Seewasser einzuflößen, wieder liegt sie ausgestreckt im Schilfrohr, umgeben von gelben Wasserlilien, die Sonne löst ihre Glieder auf und lässt sie mit der schlammigen Erde verschmelzen, und er kniet neben ihr, versenkt das Löffelchen im Seewasser und schiebt ihr die Flüssigkeit in den Mund, trink, Chemda, trink, du musst den See trockenlegen, ein Löffelchen und noch ein Löffelchen, bis es kein Wasser mehr gibt.
Aber ich will den See nicht austrocknen, Papa, ich liebe den See, sagt sie, versucht, die Lippen zu schließen, und er schreit los, was hat das mit Liebe zu tun? Wir brauchen diese Erde, um Weizen und Gerste darauf zu pflanzen, Äpfel und Avokado, Pflicht ist das eine und Notwendigkeiten sind das andere, sagt er, die Pflicht hat Vorrang, trink, Chemda, und sie seufzt, aber ich bin ein Kind, wie kann ich einen ganzen See austrinken, und er sagt, langsam, sehr langsam, wir haben das ganze Leben lang Zeit.
Bleibe ich das ganze Leben lang hier liegen und du flößt mir mit dem Löffelchen Wasser ein?, sagt sie verwundert, das ist es, was ich mein Leben lang tun werde? Und er antwortet nachdenklich,
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