Fuer den Rest des Lebens
vielleicht nicht das ganze Leben, sondern nur, bis er trocken ist, je schneller du trinkst, umso schneller wird er trocken und du kannst anfangen zu leben. Was für eine unmögliche Aufgabe, aber eigentlich nicht unmöglicher als andere Aufgaben, die er ihr gibt, schwankende Brücken zu überqueren, Traktor zu fahren und Gräben auszuheben, wie hat er sich mit ausgebreiteten Armen hinter den Traktor gestellt, als sie Angst hatte, weiterzufahren, wegen des Abgrunds neben dem Weg. Ich gehe hier nicht weg, verkündete er, wenn du rückwärtsfährst, musst du mich überrollen! Und sie war weitergefahren, die zitternden Hände am Lenkrad und den Mund vor Angst aufgerissen, und auch jetzt reißt sie den Mund weit auf, weil er es verlangt, schluckt das Seewasser, das süßer ist als in ihrer Erinnerung. Immer war sie ein bisschen enttäuscht von seinem Geschmack, wie vielversprechend war das Wort Süßwasser, aber es hat damals nur nichtsalzig geschmeckt, und sie hatte geplant, aus dem Speisesaal Tüten mit Zucker zu stehlen und ihn ins Wasser zu kippen, aber sie hat es nie gewagt, jetzt scheint es, als hätte es inzwischen ein anderer für sie getan, denn der Geschmack ist schwerer und konzentrierter, als sie sich erinnert, und ihr Vater sagt, sehr schön, Chemda, du trinkst wirklich schön, wie weiblich seine Stimme geworden ist, weiblich und heiser wie die Stimme ihrer Mutter.
Auch ihre Mutter ist hier, sie strahlt und reißt die Augen weit auf, um sie anzuschauen, macht sie aber sofort wieder zu, damit sich das kostbare, einzigartige Bild nicht auflöst, es kämpft gegen ein anderes, das Bild ihrer Schwiegertochter Schlomit, die neben ihr sitzt, in einer Hand eine Tasse mit lauwarmem Tee und in der anderen ein Löffelchen, sie möchte zum Schilf zurück, zu den Halmen mit den weißen Blütenständen, die aussehen wie weiß gewordene Haarschöpfe, dort gehört sie hin, nicht an diesen Ort hier, den sie nicht kennt, dort gehört sie hin, wie kurz waren die Tage der Kindheit und trotzdem endlos, erst ihr Tod wird ihre Kindheit beenden.
Was für eine Schande, sie seufzt, als ihr klar wird, dass ihre Eltern lebendiger sind als ihre Kinder, lebendiger als ihr Ehemann, dass sie Angst und Liebe in ihr wecken, jeden Spalt ihres Bewusstseins ausnutzen, um sie zu sich zurückzuholen, ihr Elik hingegen verschwindet immer mehr, nur widerwillig erinnert sie sich jetzt an ihn, die Krankenhausgerüche bringen sie unbewusst zu den letzten Stunden seines Lebens zurück, wie bitter war er, sein Neid war schlimmer denn je zuvor, es schien, als sei ihm damals erst der Grund dafür klar geworden, ihre Gesundheit gegen seine Krankheit, ihr Weiterleben gegen seinen baldigen Tod.
Er war nach außen hin zögernd und schüchtern, seine Schüchternheit wurde fälschlicherweise als Sensibilität ausgelegt, aber zu Hause hatte er häufig heftige Ausbrüche bekommen, vor allem nachdem sie den Kibbuz verlassen hatten und zum ersten Mal zu viert in einer Wohnung lebten, das heißt als Familie. Von ihrer winzigen Wohnung aus konnte man das arabische Dorf am Hang sehen, er arbeitete zu seinem Missvergnügen in einer örtlichen Bankfiliale, und sie, ohne den Schutz ihres Kibbuz, in dem er fremd war, so fremd, dass er ihre eigene Fremdheit nicht erkennen konnte, hatte manchmal das Gefühl, sie wären alle drei Geiseln eines gefährlichen Kranken geworden, genauer gesagt, sie beide, Dina war immer außerhalb seiner Reichweite, sie und Avner verband die Kumpanei der Benachteiligten, eine Verbindung, die bis heute anhält, auch viele Jahre nach seinem Tod.
Wie hatte er sich auf ihren schönen Jungen gestürzt, wenn dieser vor dem Spiegel stand und sich die Haartolle richtete, gehst du schon wieder aus?, hatte er ihn angeschrien, setz dich hin und lerne, sonst wird nichts aus dir werden! Erst gestern warst du im Kino, heute bleibst du zu Hause, und sie hatte sich wie eine Löwin zwischen ihn und ihren Sohn gestellt, was redest du da? Er ist die ganze Woche nicht ausgegangen, lass ihn in Ruhe, und sofort war der alte Streit entbrannt, Avni hatte sich mit Tränen in den Augen aus dem Haus geschlichen, weit weg, war an den Wochenenden zu seiner Freundin in den Kibbuz gefahren, manchmal war die Freundin freitagnachmittags auch zu ihnen gekommen, klein und mit kurz geschorenen Haaren, erschöpft von dem langen Weg.
Widerwillig hatte sie das Mädchen aufgenommen, diese lebendige Trennwand zwischen ihr und ihrem Sohn, sie hatte gehofft, er fände eine
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