Fuer den Rest des Lebens
beeindruckendere Partnerin, oder, was noch besser wäre, er würde noch ein paar Jahre länger ihr allein gehören, doch Schlomit ließ nicht locker, bis heute hält sie ihn in ihren Krallen, in ihren dick gewordenen Armen, mit ihren Kindern, vor allem mit dem Großen, der ihr so ähnlich sieht, und als sie die Augen zu schlauen Schlitzen öffnet und sie neben sich sitzen sieht, packt sie der alte, vergessene Groll, sie streckt die Hand aus und stößt das Löffelchen weg, schaut auf den Fleck, den die Flüssigkeit auf der Bluse ihrer Schwiegertochter hinterlässt. Wo ist Avni, möchte sie fragen, oder besser, wo bin ich, aber keine Frage ist zu hören, obwohl sie spürt, dass ihre Lippen sich über dem leeren Zahnfleisch bewegen, dass ihre Zunge über sie gleitet, wieder und wieder, die verlorenen Zähne sucht, die verlorenen Jahre.
Sind sie verloren? Was für ein Zorn war nach Eliks Tod aus ihr herausgebrochen, stundenlang hatte sie am Fenster gesessen, brennend vor Zorn, so wie der Torf in den Tiefen der Moore für immer schwelte, was für ein Betrug, ihr Mann, der sich zu früh aus der Welt geschlichen hatte, oder zu spät, sie ihrem Älterwerden überantwortete, und ihre Kinder, die sie, als sie erwachsen wurden, im Stich ließen, und diese Stadt, Jerusalem, nach der sie sich gesehnt hatte, in der sie ein neues Leben hatte beginnen wollen, lag gleichgültig und verschlossen vor ihr, fast feindlich mit ihren gefährlichen Rändern, lass dich in meinem Inneren nieder; wenn du das willst, liebe mich, wenn du das willst, aber verlange nichts von mir. Anders als das aufsaugende, lebenswichtige Wesen Kibbuz, das zugleich beraubt und nährt, erlebte sie die Stadt starr und unfähig, sich zu bewegen, sie stieß alle Hoffnungen und alle Vorwürfe von sich und hielt sie in den Armen wie ihren toten Ehemann.
Aber was hat dich daran gehindert, zu leben, was hat dich daran gehindert, neue Menschen kennenzulernen, eine neue Arbeit zu finden, so alt warst du doch noch nicht, war es dein dummer Stolz, Tochter des Kibbuzadels, aus eigenem Willen verbannte Königin des geheimnisvollen fernen Nordens, was hattest du mit deinen vulgären Nachbarn zu tun, zumeist junge Familien, deren Kinder im Treppenhaus herumtobten, in dem es nach hastig gekochten Gerichten roch, nach gebratenen Würstchen, nach angebranntem Reis und Frikadellen, mit diesen Menschen, deren Leben sich verzettelte und nach allen Seiten ausbreitete, in engen Wohnungen unter und über und neben ihr.
Warum gehst du nicht ein bisschen hinaus, hatten ihre Kinder sie beschimpft, es ist unmöglich, den ganzen Tag am Fenster zu sitzen, die Aussicht läuft dir nicht davon, du musst sie nicht bewachen, sie redeten so lange auf sie ein, bis sie anfing, sich zu verstellen, wenn sie hörte, dass sie hereinkamen, legte sie sofort das Heft auf die Knie, das sie von ihrer Tochter bekommen hatte, und jetzt richtet sie sich erschrocken auf, das Heft, versucht sie zu sagen, wagt ja nicht, mein Heft anzurühren, denn ihr ist plötzlich klar geworden, dass sie nie mehr dorthin zurückkehren wird, dass sie nie mehr an ihrem Fenster sitzen wird, sie wird nie mehr die Bergrücken betrachten, die ihr die Sicht auf die Türme Bethlehems nehmen, und sie sieht sie vor sich, wie sie, in Trauer, ihre Wohnung betreten und in ihren Sachen wühlen, wie sie Schubladen und Schränke aufmachen, als würden sie nach der Essenz ihres Lebens suchen, und wie groß wird ihre Freude sein, wenn sie plötzlich das alte Heft entdecken, das im Wäscheschrank versteckt ist, und wie groß ihre Enttäuschung, wenn sie es ehrfürchtig aufmachen und herausfinden werden, dass es leer ist.
Ja, das wird alles sein, was sie nach Dutzenden von Jahren auf der Erde zurücklässt, ein leeres Heft, denn sie hat nie gewagt, etwas hineinzuschreiben, kein einziges Wort, denn dieses Wort, das erste, hätte einzigartig und besonders sein müssen, eine Prinzessin unter den Wörtern, eines, wie es noch nie geschrieben wurde, dieses Wort musste alle Töne enthalten, die sie gehört hatte, und alle Bilder, die sie gesehen hatte, alle Gerüche, die sie eingehüllt hatten, das Säuseln des Ostwinds, der die Sträucher bewegt, das Seufzen der Fische, die im Netz gefangen sind, den Duft der arabischen Schilfhütten an sonnigen Tagen und die Anmut der Fischreiher, die zwischen dem Schilf im Moor nisten, das Geplapper der Frauen, die mit ihren jungen Fingern Fischernetze knüpfen, das Platzen der Barbeneier, die an den Steinen im
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