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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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steile Hänge, von zwei Praktikantinnen im Büro zu einer Praktikantin, von gewonnenen Prozessen zu Vergleichen und dann zu verlorenen Prozessen, und schon steigt er aus dem heißen Auto, gleich wird er ins Haus gehen und den Kleinen beruhigen, er wird sich ein bisschen mit Tomer hinsetzen und ihm bei den Hausaufgaben helfen, doch dann wird die Autotür, die er gerade mit einem scharfen Knall geschlossen hat, wieder aufgerissen, noch nicht, es ist noch zu früh, sich von ihrer abendlichen Familienroutine verschlingen zu lassen, er wird in einer Stunde zurückkommen, jetzt wird er es erst weiter versuchen, vielleicht klappt es ja heute Abend.
    Wie heiß es ist, die Abenddämmerung hat keine Erleichterung gebracht, hätte er einen Garten, wäre er jetzt bestimmt draußen, würde kraftlos im Liegestuhl liegen und sich den Mond anschauen, dünn wie eine Wimper, die von einem Auge gefallen ist. In genau solch einer Nacht hat sein Vater diese Welt verlassen, seither hat er ihn, was selbstverständlich ist, nicht mehr gesehen, und obwohl das so selbstverständlich ist, wundert er sich darüber, dass er über zwanzig Jahre lang nicht auf seinen Vater gestoßen ist, mit dem er sowieso sehr wenig zusammen war. Als Jugendlicher hatte er immer gehofft, sich ihm irgendwann zu nähern, doch die Krankheit war ihm zuvorgekommen, sein Vater hat nicht einmal mehr erfahren, dass er beschloss, Jura zu studieren, wie er es für sich selbst immer erträumt hatte.
    Was für eine bittere Sehnsucht war in den ersten Jahren in ihm aufgestiegen, wenn er an ihn dachte, daran, wie er geschimpft hatte, warum hatte ihn das so belastet? Sie waren wie zwei Löwen, ein junger und ein alter, aber eigentlich waren sie eher wie Schafe, die sich an den Stadtrand verirrt hatten, in jenes Viertel nahe der Wüste, hier wuchsen Viertel, spitz wie Zähne, und verunstalteten die Hänge. Anders als sein Vater drängt er sich seinen Kindern nicht auf, er schreit sie nie an, ihm ist es lieber, sich zurückzuziehen, ehe ihm eine Wahrheit herausrutscht, die er nicht für sich behalten kann, er verschwindet einfach, wie er es jetzt tut, lässt Schlomit auch an diesem Abend allein, er lässt sich vom Verkehr verschlucken und westwärts treiben, als wäre dort sein Haus, in dem Viertel, das früher ein kleines Dorf war und noch immer nur locker mit der Stadt verbunden ist, es scheint sich vor ihr zu verstecken, anmutig mit seinen stilvollen Häusern, und ihr nicht zu erlauben, es zu annektieren.
    Schon seit Jahren schlägt er Schlomit immer wieder vor, dorthin umzuziehen, vor allem nach der Geburt des Kleinen, als es bei ihnen sehr eng geworden ist, aber sie wehrt sich nachdrücklich, das sei zu weit, sie habe keine Kraft für lange Fahrten, auch so fällt mir alles schwer genug, schimpft sie, als wäre es seine Schuld, und vermutlich hat sie recht, denn er ist bis abends im Büro und sie ist es, die die Kinder hin und her fahren muss, aber da ist sie wieder, ihre stachelige Rechthaberei, die ihm zum Hals raushängt. Er hat immer das Gefühl, als fehle etwas an ihren gerechten Sätzen, dieses kleine Verbindungsstück, das ihn dazu bringen würde, ihr richtig zuzuhören. Schade, dass sie nicht hier wohnen will, denn nun, da er sich in das Herz des kleinen Viertels begibt, spürt er das vergessene Glück der Jugend, er steuert sein Auto langsam durch die engen, gewundenen Gassen, als würde er auf einem kleinen Esel reiten, sucht sich in der Dämmerung ein Haus aus, obwohl er am nächsten Morgen nicht mehr wissen wird, was er zuerst gesehen hat, das goldfarbene Auto, das auf dem großen Parkplatz steht, oder die Traueranzeige, die offenbar zwei Tage zuvor ans Tor geklebt worden ist, denn die Beerdigung hat gestern stattgefunden, die Beerdigung von Rafael Alon, der auf dem Zentralfriedhof begraben wurde, vor den Augen seiner Eltern Jehoschua und Mirjam, seiner Frau Elischewa und seinen Kindern Ja’ara und Avschalom, deren Namen mit schwarzen Buchstaben unter seinem stehen. Mit zitternden Knien steigt er aus dem Auto, stellt sich vor die Anzeige, wiederholt ehrfürchtig den Namen. Dein Andenken sei gesegnet, Rafael Alon, ruhe in Frieden auf deinem Lager, Rafael Alon, schwarz auf weiß, ich verabschiede mich von dir, bevor es mir gelungen ist, dich kennenzulernen, ich habe das Gefühl, nie im Leben etwas so Wichtiges versäumt zu haben, und mein Leben war voller Versäumnisse, ich habe meinen Vater versäumt, ich habe die Liebe versäumt, und vor deinem ausgeschriebenen

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