Fuer den Rest des Lebens
erkundigt hat, als diese im Krankenhaus lag, und sie sagt, sie ist gestorben, als ich acht war, setzt sich ihm gegenüber und reibt sich die Augen, ich weiß nicht, was mit mir los ist, als ich vorhin die Einladungen gesehen habe, bin ich erschrocken, ich habe plötzlich verstanden, dass es quasi echt ist.
Quasi echt?, fragt er erstaunt über ihre ungewöhnliche Ausdrucksweise, und sie sagt, nein, nicht quasi, es ist echt, am zwanzigsten August, Anat und Lior, aber diese Anat bin ich, und ich bin mir plötzlich nicht sicher, ob sie Lior heiraten sollte, vielleicht ist es ja zu früh, und vielleicht liebt sie ihn nicht genug und vielleicht hat sie in ihrem Leben noch nicht genug geliebt. Sprichst du immer in der dritten Person über dich, fragt er, stärker berührt von ihrer Ausdrucksweise als vom Inhalt ihrer Worte, und sie wird rot, nur wenn ich allein bin, sagt sie, es hat nach dem Tod meiner Mutter angefangen, ich habe ihr jeden Abend von ihrer Tochter erzählt, so habe ich mich daran gewöhnt, sie nuckelt schweigend an ihrem Bier, wie ein Kindergartenkind am Kakao nuckelt, und Avner seufzt, vermutlich liebt man nie genug, wie lange seid ihr schon zusammen?
Schon vier Jahre, er ist mein erster Freund, sagt sie, und ich war es, die ihn zur Hochzeit gedrängt hat, seltsam, wie sich die Dinge ändern, aber seit wir es entschieden haben, ist es für ihn eine beschlossene Sache, und bei mir ist sie plötzlich offen. Wie weiß man, ob das, was man tut, richtig ist? Sie schaut ihn mit ihren weit auseinanderstehenden, ausdrucksvollen Augen an, und er lächelt, das ist die Frage aller Fragen, Anati, es ist so, dass niemand es weiß, abgesehen von ein paar Glückspilzen, bei denen immer alles klar ist.
Er hält die Einladung noch in der Hand, zerknittert die Ränder, ohne es zu merken, wie kann man wissen, ob das, was man tut, richtig ist? Kommt ihm zu diesem Zeitpunkt ihres Lebens eine Aufgabe zu, muss er sie warnen? Und er sagt schnell, aus Angst, es zu bereuen, hör zu, ich habe meine erste Freundin geheiratet und es mein Leben lang bereut, obwohl ich keinen Schritt unternommen habe, mich von dieser Ehe zu befreien, und obwohl man unmöglich wissen kann, wie das Leben anders verlaufen wäre. Natürlich sagt das nichts über dein Leben aus, fügt er schnell hinzu, man kann nicht von einem Fall auf den anderen schließen, aber wenn du nicht ganz sicher bist, dann warte, manchmal lohnt es sich, auf die Liebe zu warten, auch wenn sie erst kommt, wenn du schon im Sterben liegst, als ich bei meiner Mutter im Krankenhaus war, habe ich eine Liebe gesehen, es war ein Anblick, den man nicht vergisst. Erregt durch dieses Bekenntnis, zerknittern seine Finger das dicke Papier der Einladung, doch da klingelt das Telefon und Anati steht auf, um zu telefonieren, und er hört überrascht ihre kühle Stimme, nein, ich habe es dir schon vorher gesagt, ich möchte heute allein sein, es reicht, Lior, hör auf, mich zu bedrängen, und Avner steht schnell auf, als würden diese Worte ihm gelten, ich muss los, zu Hause warten sie auf mich, sagt er, während sie in der Küchentür steht, wir sehen uns morgen im Büro, fügt er hinzu, fast traurig, denn in diesem Moment wünscht er sich, sie nie mehr zu sehen, sie und die quälende Frage auf ihrem Gesicht, was soll man tun, und auf dem Weg zum Treppenhaus, die Autoschlüssel in der zerrissenen Tasche, zerdrückt er die Einladung und wirft sie in die Mülltonne, die schon überquillt und um sich herum lauter kleine Mülltonnen wachsen lässt.
Fünftes Kapitel
Nicht Philosophie und Denken bestimmen, wer recht behält, hat sie immer wieder gesagt, sondern die Geschichte. Die Realität ist es, die keinen Platz für Zweifel lässt. Die Vertreibung war der Prüfstein zwischen der traditionellen Treue zum Gott Israels, auch unter schwersten Bedingungen und den geistigen Veränderungen, die letztlich zum Religionsübertritt führten. Die Entscheidungen wurden nicht aus religiösen Gründen getroffen, sondern aus persönlichen, wie bereits die Gelehrten der vertriebenen Generation erkannten. Ein gurrendes Geräusch wie von einer Taube unterbricht Dinas Vortrag, den sie genau kennt, schon seit vielen Jahren versucht sie, die Studentinnen mit ihrer Begeisterung anzustecken, allerdings mit immer weniger Erfolg, wobei nicht klar ist, ob es an ihr liegt oder ob die Jugend immer weniger taugt.
Gibt es bis hierher Fragen? Sie wendet sich an die Klasse, eine der Studentinnen fällt ihr auf, sie sitzt
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