Fuer den Rest des Lebens
Hand auf ihren Arm, ach, Dina, warum solltest du sie beneiden? Auch dieses Kind wird sie am Schluss verlassen, auch eine Frau, die zehn Kinder bekommt, bleibt am Schluss allein, glaub mir.
Danke, aber das stimmt nicht ganz, Dina seufzt und setzt sich Naomi gegenüber, es gibt einen Unterschied zwischen einer großen und einer kleinen Familie, es gibt einen Unterschied, ob man mit fünfundvierzig allein gelassen wird oder mit fünfundsechzig, und Naomi sagt, klar gibt es einen Unterschied, aber er ist nicht wesentlich, vielleicht ist es sogar gesünder, wenn du dich in jüngeren Jahren wieder zurückbekommst und nicht im letzten Moment, schau mich doch an, wenn Ro’i groß ist und das Haus verlässt, bin ich schon eine alte Frau.
Je später, umso besser, beharrt Dina, sie wischt sich mit einem Papiertaschentuch den Schweiß vom Gesicht, du verstehst überhaupt nicht, was es bedeutet, wenn du etwas geben möchtest und keiner da ist, der es haben will, wenn dich plötzlich niemand mehr braucht. Neulich habe ich von einer Frau gehört, die sich wegen einer Krise in den Wechseljahren umgebracht hat, ich kann sie tatsächlich verstehen.
Beruhige dich, wirklich, du übertreibst, fährt Naomi sie an, Gideon braucht dich auf seine Art, und bestimmt auch Nizan, sie ist gerade mal sechzehn, du regst dich über ihr Gemecker einfach zu sehr auf, und Dina lacht, was für ein Gemecker, ich sehe sie in der letzten Zeit kaum, ihr Leben ist ausgefüllt, ich habe keine Ahnung, was mit ihr los ist, sie erzählt mir ja nichts.
Ausgezeichnet, dann ist sie eine typische Pubertierende, aber das heißt nicht, dass sie dich nicht braucht, du stehst jetzt einfach ein bisschen am Rand, das ist alles, sagt Naomi und schiebt, wie um es zu verdeutlichen, die Bibel vom Heft weg, und Dina sagt, klar, damit habe ich mich schon abgefunden, ich kann mir nur nicht verzeihen, dass ich nicht noch ein Kind bekommen habe, wenn ich jetzt noch ein kleines Kind zu Hause hätte, so wie dein Ro’i, wäre es etwas ganz anderes.
Wie soll das enden, du redest schon wie Hanna, die Gott um ein Kind anflehte, sagt Naomi lachend, vielleicht werden deine Gebete ja ebenfalls erhört, aber schau, was für einen Preis sie bezahlt hat, Naomi nimmt einen schnellen Schluck Kaffee und räumt ihre Sachen zusammen, los, gehen wir, es ist schon spät, und Dina sagt, ich bin für heute fertig, bei mir fallen zwei Stunden aus, meine Klasse ist bei einer Fortbildung, und Naomi zieht sie für eine verschwitzte Umarmung an sich, sei nicht traurig, Dini, vermutlich hast du es nicht richtig gewollt und man sollte die Dinge nicht im Nachhinein beurteilen, sieh doch mal deine Vorteile, ich habe ein verrücktes Haus voller Durcheinander und Streitereien, und du hast deine Ruhe, das ist doch auch was.
Aber ich suche keine Ruhe, widerspricht Dina und schaut der Freundin nach, wie sie die Klasse betritt, die sie gerade verlassen hat, klein und rund wie ein Bär, und so wie sie sehen ihr Mann und ihre vier Kinder aus, eine Bärenfamilie, hat Nizan sie spöttisch genannt. Was, sie bekommen noch ein Bärchen?, hat sie gesagt, als Naomi vor vier Jahren erneut schwanger wurde, stinkt es ihnen nicht, noch einen kleinen Bären zu machen? Sie sehen sowieso alle gleich aus. Was für ein Glück, dass ich ein Einzelkind bin, so ist es viel besser, wenn ich mich langweile, kann ich eine Freundin einladen, und wenn ich genug von Freundinnen habe, kann ich allein sein, und außerdem habe ich meine Mama ganz für mich, sie beugte sich zu ihr und schnurrte wie eine Katze.
Ja, es war anders, sie darf es nicht vergessen, es waren andere Gesetze, nach denen ihre kleine Familie damals funktionierte, es war ein anderes Territorium, selbstständig und stolz, von oben herab hat sie damals andere Familien betrachtet, die unter der Last der Anforderungen und der Streitereien in die Knie gingen, ich genieße es, Nizan aufzuziehen, mehr als Naomi ihre vier Kinder zusammen genießt, ich habe Zeit für sie, ich habe Geduld, ich kann ihr so viel geben, ohne Schuldgefühle einem weiteren Kind gegenüber, und Gideon reicht es sowieso, seine Bedürfnisse sind beschränkt, auch seine Fähigkeiten, sie ist nie auf die Idee gekommen, dass es sich eines Tages ändern könnte, und sie ist auch nicht auf die Idee gekommen, dass sie vielleicht nur deshalb so gelassen war, weil sie davon ausging, jederzeit ein weiteres Kind bekommen zu können, wenn sie wollte, bis plötzlich, in weniger als einem Jahr, wie in einem Krieg,
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