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Fuer den Rest des Lebens

Fuer den Rest des Lebens

Titel: Fuer den Rest des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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nicht weißt, wie es weitergeht und ob du dich rückwärtsbewegst, wenn du eigentlich vorwärtsgehen solltest oder umgekehrt. Er hat einmal mit Schlomit in einem ähnlichen Block gewohnt, nicht weit von hier, und er erinnert sich, dass er schon damals verbittert nach Hause kam, sie mit dem hässlichen Haus gleichsetzte, mit dem Schmutz im Treppenhaus, schon damals brachte er sie in seinem Bewusstsein mit dem zornigen Gefühl zusammen, etwas versäumt zu haben, obwohl sie erst am Anfang ihres Lebens standen und noch oft die Wohnung und den Partner wechseln konnten. Warum hatte er sich so früh gebunden, in diesem Ausmaß hatte er auch früh sein Leben betrauert, schließlich waren sie beide damals jünger als das junge, geheimnisvolle und schwerfällige Mädchen, das ihm jetzt die Tür öffnet.
    Zum ersten Mal sieht er sie nicht in ihrer Dienstkleidung, in die sie sich sonst hüllt, jetzt trägt sie ein rotes T-Shirt-Kleid mit schwarzen Punkten und sieht aus wie ein riesiger Marienkäfer, ohne die Zügelung der engen Kleidung scheint ihr Körper nach allen Seiten auszuufern und sich mit jeder Bewegung zu verdoppeln, sie empfängt ihn mit einem entschuldigenden Lächeln, ich wollte dich gerade anrufen, sagt sie, ich finde die Schlüssel nicht, ich war sicher, dass sie hier sind, aber jetzt habe ich keine Ahnung.
    Nicht schlimm, ich helfe dir beim Suchen, sagt er schnell, denn er bemerkt den feuchten, rötlichen Glanz in ihren Augen und möchte sie beruhigen, doch als er hinter ihr das Zimmer betritt, weicht er zurück, noch nie hat er eine solche Unordnung gesehen, Berge von Kleidungsstücken auf dem Fußboden, Sandalen, Bücher, Papiere, verwirrt schaut er sich im Zimmer um, da sind auch Unterhosen, Büstenhalter, Tampons, eine unbescheidene Körperlichkeit, zugleich ohne jede Sexualität, es ist ihr noch nicht einmal peinlich, sie steigt mit nackten Füßen über die Kleider und die anderen Gegenstände, wühlt in den Sachen herum und wirft sie nach allen Seiten, als müsste sich das Schlüsselbund in einem Büstenhalterkörbchen versteckt haben oder in den Tiefen der Strümpfe, und während er sich noch fragt, wie er ihr eigentlich helfen könnte, ob auch er die Kleidungsstücke anheben und zur Seite werfen soll, ist von der Straße herauf ein Hupen zu hören, und er erinnert sich an das Taxi, das auf ihn wartet, die zwei Minuten sind um, er weiß, dass er jetzt sagen müsste, lass doch, es ist nicht wichtig, ich hole mir die Schlüssel von zu Hause, also sagt er es und läuft die Treppe hinunter, doch statt die Taxitür aufzumachen, einzusteigen und trotz seiner Wünsche die Adresse anzugeben, beugt er sich durch das Fenster und bezahlt den Fahrer, er wartet noch nicht einmal auf das Wechselgeld, rennt ins Haus zurück, steigt die Treppen hinauf und tritt schwer atmend durch die noch offene Tür. Der Fahrer ist schon verschwunden, sagt er, nach Luft schnappend, er hat nicht gewartet, und sie steht mit rotem Gesicht vor ihm, ist sie rot geworden wegen der durchsichtigen Lüge, die er ihr aufgetischt hat, oder weil sie ihn belogen hat, denn sie hält ihm mit einer kindlichen Bewegung die zur Faust geballte Hand hin, ich habe sie gefunden, verkündet sie.
    Am liebsten würde er sie sanft stoßen, bis sie stolpert und mit ihrem schwammigen Körper in den Kleiderbergen versinkt, ihr Kleid würde hochrutschen und ihre einfache Baumwollunterhose sehen lassen, sie würde die Augen schließen, voller Eifer, gefällig zu sein, sie hat ihn nicht erwartet und trotzdem ist er hier, er würde die Lippen auf ihre kräftigen Schultern drücken, auf ihren schweren Busen, dessen etwas traurige Konturen sich deutlich unter dem gepunkteten Gewebe abzeichnen. Er würde sein Hemd ausziehen und seine Haut an ihrer reiben, sein Alter an ihrem Alter, seine Trauer an ihrer Jugend, er wird sich auf sie wälzen, bis er getröstet wäre, ihre Lippen würden seine Lippen trösten, ihre Finger würden seine Finger trösten, ihre Knochen würden seine Knochen trösten. Er hat das Gefühl, in dem leeren Raum gefangen zu sein, den der Tote noch im Leben hinterlassen hat, und er weiß nicht, wie er wieder herauskommen kann, der Raum, zu dem ihn Jasmingeruch begleitet hat, schwer und süß wie eine Ohnmacht, dieser Raum, der unbegreiflich ist wie Geburt und Tod, als wäre er von dem Toten in seinen letzten Minuten verzaubert worden und könnte nur durch einen Gegenzauber erlöst werden, nur wenn er getröstet wäre, könnte er die Witwe und die

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