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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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ertragen waren die intimen Stellen, die Kniekehlen und die Achseln, wenn es dort juckte, war man rettungslos verloren.
    Und seit die Todeskandidaten, die meine Bettnachbarn gewesen waren, fort waren, musste ich notgedrungen irgendjemand anderen bitten, mich zu kratzen. Wenn es eine besondere Stelle betraf, lachten sie mich nur aus und kümmerten sich nicht weiter um mich, so dass mir nichts übrigblieb, als eine entsprechende hohe Entlohnung auszusetzen: »Wer mir hilft, bekommt drei Kuai.«
    »Eier und Achseln kraulen, zehn Kuai.«
    »Das ist zu teuer!«
    »Es ist sehr heiß, das da unten stinkt, noch habe ich keine Lust zu so was!«
    Der Räuber, von Hause aus Gemüsebauer, trieb die Preise hoch.
    Und obwohl der verschlagene Gauner eine üble Visage hatte, war das Jucken so unerträglich, dass ich darauf nicht viel Rücksicht nehmen konnte: »Also abgemacht!«
    »Du bist einverstanden?«
    Der Kerl kratzte einmal unter meinen Achseln, so erlösend, dass ich zusammenzuckte.
    »Zehn Yuan sind zehn Yuan, der Handel gilt!«
     
    Die Quälerei dauerte über einen Monat, erst da erlaubte der Zellenboss Wen Zhi, dass ich wieder an der turnusmäßigen Wache teilnahm. Doch zu diesem Zeitpunkt hatte die Zellenverwaltung bereits gewechselt, die neuen väterlichen Beamten waren hübsche kleine Kerle, mit einem relativ starken politischen Impuls, im Gerichtsgefängnis wurden sie deshalb als Neue Ideologische Welle und Entschlossene Reformer bezeichnet. Am ersten Tag seines Amtsantritts kam unser Regierung in die Zelle und mahnte uns, die Privilegien der alten Gefangenen auszumerzen und auf den Berg zu klopfen, um uns vor dem Tiger zu schützen.
    Die Hitzewelle in der Bergstadt war mörderisch, bei Tag und bei Nacht wich sie nicht. Man lag keine zwei Stunden auf der Kangmatte, und die Haut war festgeklebt; wenn man sich nur ein wenig bewegte, dann klang es, als würde Seide reißen. In allen Ecken und Winkeln hingen Deckenventilatoren, es war ein derart ausgedörrter Wind, dass einem die Wüste den Durst knirschend in den Mund goß.
    Wenn die Gittertür zu war, wurde als Erstes das heiße abgekochte Wasser in dem kleinen Plastikeimer geplündert: Jeder Einzelne der umsichtigeren alten Gefangenen hatte sich eine Schale damit vollgegossen und sie auf die Fensterbank in die Sonne gestellt. Die Neuen hatten dieses Privileg nicht, sie tranken, so viel sie konnten, und wenn das heiße Wasser alle war, dann schütteten sie sich kaltes rein, und wenn das kalte Wasser alle war, fing die Toilette an zu stinken.
    Mein Bettnachbar war wieder ein Todeskandidat. Er schlief wenig, es hieß, wenn er die Augen zumache, höre er schon die Gewehre knallen, deshalb saß er gegen die Wand, brütete dumpf vor sich hin und starrte mich mit seinen dreieckigen Augen an, ohne zu blinzeln. Später merkte ich, dass er gar nicht mich im Blick hatte, und achtete nicht mehr weiter darauf.
     
    Der Tote Zhang war Nebenangeklagter in einem Prozess wegen Drogenhandels; die Anzeige und die Sühne war nicht einfach gewesen, er schützte seinen Kopf, doch eines Tages kam der Zufall zu Hilfe, der Hauptangeklagte legte Berufung ein und beschloss, ihn in die Sache mit hineinzuziehen.
    »Gute Kameraden halten sich die Treue im Leben und im Tod, ich hätte in der Unterwelt auch gerne jemanden zum Plaudern.« Was für einen Gerechtigkeitssinn der Kerl hat.
    Die Berufung war noch nicht lange eingelegt, als der zweite Richter der höchsten Volkskammer auf Provinzebene einen Beschluss fasste: »Die Sachlage ist nicht geklärt und wird zur erneuten Untersuchung zurückgegeben.«
    Daraufhin eröffnete der Mittlere Gerichtshof erneut das Verfahren, aber der arme Kerl war noch nicht wieder zu sich gekommen, und seine zur zweijährigen Bewährung ausgesetzte Todesstrafe wurde umgewandelt in eine direkte Todesstrafe, ihm wurden Fesseln angelegt.
    Der Mann war gerade einmal dreißig Jahre alt, aber sein Haar war schlohweiß. Der Tote Zhang tat sich sehr leid, er sah sich selbst als einen Wu Zixu [40] , einen außergewöhnlich hübschen Kerl, der auch nach einer einzigen Nacht in Haft weiß geworden war.
    Einmal hat er mich mitten in der Nacht zu sich herumgedreht, er wollte, dass ich aufstehe und mit ihm plaudere, ich weigerte mich. Da rückte er als Köder mit ein paar Häppchen heraus.
    »Worüber willst du reden?«
    »Mein Haar ist ganz weiß geworden, innerhalb von vier Wochen!«
    »Ich weiß.«
    »In der ersten Hälfte dieses Monats haben sie mich zum Tode mit zweijähriger

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