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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Abendessen stellte sich Punkt fünf ein. Zuvor hatten wir alle längst mit der Arbeit aufgehört und uns die Hände gewaschen und saßen nun ehrfurchtsvoll und aufrecht da und warteten.
    »Ihr Ausgeburten von Hungergespenstern!«, krakeelte Wang Er wie ein Marktschreier, »wollt ihr uns zwei Gänge auftischen?«
    Wir kicherten und lachten. Wan Li nutzte die Gelegenheit, um sich einzuschleimen: »Wenn ich zwei Portionen bekomme, werde ich Ihnen, unserem Väterchen, eine Portion verehren.«
    Wang Er rümpfte die Nase: »Du bist auch so ein Drückeberger, mein Sohn. Aber dein Väterchen würde lieber verhungern, als sich auf Kosten der Regierung zu mästen, wenn du zu viel hast, gib es zurück, wir alle hier müssen uns bemühen, Vorbilder zu sein. Wie Lei Feng.«
    »He, was gibt es denn heute Abend?«, fragte der Große Drache hastig, »mein lieber Genosse Wang Leifeng!«
    »Die Vorsehung kann man nicht offenbaren«, sagte Wang Er geziert.
    »Baozi mit Fleischfüllung!«, sagte der alte Bai und knirschte mit den Zähnen, »vier Stück für einen.«
    »Gemüsefüllung ginge auch«, sagte ich erwartungsvoll, »und dazu eine echte Senfkohlsuppe.«
    »Wenn ich dafür die Todesstrafe loswürde, würde ich gerne sämtliche Baozi sämtlicher Abendessen hergeben«, sagte Wang Er schweren Herzens, »ich würde mir vor aller Augen ein Bein abnehmen und es in verschiedene Soßen hacken, damit alle satt werden.«
    »He, ein doppelter Lei Feng!«, applaudierte die Meute.
    Auf einmal kippte die Situation ins Negative um, die von allen so herzlich verehrten und fest erwarteten Baozi mit frischer Fleischfüllung verwandelten sich im Nu in Süßkartoffeln, jeder bekam nur zwei Stück, außerdem waren sie unterschiedlich groß. Als ich meine Ration in die Hand bekam, roch sie verfault, ich brach sie auseinander, das Fruchtfleisch war außen rot und innen schwarz, mir blieb nichts anderes übrig, als schweren Herzens ein Stück davon wegzuwerfen. Das Spielzeug, das man dem guten Xie in die Hand drückte, war lang und dünn, wie eine tausend Jahre alte Ginseng-Wurzel; Wang Er hingegen hatte ein ausgesprochen dickes und fettes Exemplar erwischt, aber das Rotfell, das die Teile ausgab, war grausam und scharfsichtig und gab ihm zum Ausgleich eine kleine, die aussah wie ein Hühnerei.
    Die Gefangenen schauten einander bestürzt an, Wan Li verbarg sein Gesicht vor Verzweiflung und weinte. Wang Er griff nach dem Fenstergitter und fing laut und derb an zu schimpfen, der Wachhabende rannte herbei, und Wang, der berüchtigte Saukerl, schlug für sich noch eine halbe Süßkartoffel heraus.
    Wir alle würgten die Süßkartoffeln in Windeseile mit der Suppe aus eingelegtem Gemüse herunter und machten uns wieder an das Falten der Tüten. Der gute Xie sagte bedrückt: »Wenn das Hochwasser so schlimm ist, bekommen wir nächstens womöglich auch noch Süßkartoffeln zu Mittag.«
    Wang Er warf sich auf den Bauch und machte Kotau: »Mein Herr, nehmt um Himmels willen diese Worte zurück! Darf dein Krähenschnabel schon nichts Gutes sagen, wird das Schlimme sicher Punkt für Punkt wahr.«
    Es war nicht leicht zu warten bis zum Morgenappell, die Betten wurden gemacht, und alles legte sich hin. Die Meute versuchte, sich die gute Laune nicht verderben zu lassen, und wetteiferte darin, sich gegenseitig die erlesensten Delikatessen vorzubeten. In meinem Bauch brannte der Hunger, bei der geringsten Bewegung brach ich in Schweiß aus. Wang Er hingegen kramte, wie durch Zauberhand, eine Packung billiger Bataten-Ei-Kräcker heraus und rief: »Setz euch um mich herum und lasst uns ein Spielchen machen, wer noch etwas zu essen hat, ist dabei.«
    Als keine Reaktion kam, fuhr Wang Er fort: »Kein Einsatz? Ich werde euch filzen, einen nach dem anderen!«
    Resultat des gewagten Spiels: Auf dem »Spieltisch« versammelten sich ein paar weiche Bonbons, ein Dutzend Kekse und ein paar Packungen Bataten-Ei-Kräcker.
    »Wir machen einen Wettbewerb im Bestellen! Gewonnen hat, wer das Beste und Leckerste bestellt.«
    Der alte Bai rieb die Faust in der Handfläche und sagte: »Ich bestelle Schmorfleisch im Tontopf, in dem alles drin ist.«
    Der Große Drache sagte drängend: »Ich bestelle einen großen Teller Longan-Früchte in Tofu-Sand, schön fett, sobald im Mund, zerfließt es, berauschend süß.«
    »Ich will die neun Schüsseln«, sagte Wang Ers zeitweiliger Gatte Große Furt heftig gestikulierend, »runde, eckige, handtellergroße, dreieckige, walzenförmige, gedämpft,

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