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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Temperament«, lobte der Großvogel und stellte die Suppenschale sofort hin.
    »Ich stelle also jetzt die Fragen, ihr gebt die Antworten, das ist ein Wettbewerb.«
    Die Meute sah dem Kampf mit gespitzten Ohren zu.
    »Die erste Frage: Wie kann man entscheiden, ob es noch mehr Essen gibt?«
    Der alte Jiang war noch nicht richtig zu sich gekommen, da ergriff Ye Entenküken bereits das Wort: »Man kann das hören, von weitem schon, ob der Wagen leer ist oder ob noch Reste drin sind. Wenn er leer ist, sind die Räder des Wagens schnell, und sie springen und sind im Nu vorbei; wenn etwas übrig ist, ist der Wagen langsam, schwer und hält immer wieder an. Manchmal, wenn der Wagen bei der Nachbarzelle ist, kann man hier auch noch die Blechkelle gegen den Bottich schlagen hören.«
    Die Meute nickte und befand die Antwort für gut: »Das Küken liegt einen Punkt vorne!«, sagte der Großvogel und ahmte den Singsang von Quizmoderatoren im Fernsehen nach.
    »Die zweite Frage: Wie kann man hundertprozentig durch die Schießscharte der Fressluke an was zu fressen kommen?«
    Der alte Jiang antwortete wie aus der Pistole geschossen: »Man streckt die Hand mit einer Schüssel raus und schreit ›Nachschlag‹.«
    »Das stimmt nicht«, widersprach das Entenküken, »es gibt sehr viele Arten, wie man die Hand herausstrecken kann, und es gibt viele Arten, wie man die Schale halten kann. Die Hand darf nicht weich sein, wenn du weich wirst, dann glauben sie, du bist schon halb satt, und geben dir nur widerwillig etwas; die Schale darf nicht zittern, wenn du zitterst, dann meinen alle, dass du sie auf den Arm nimmst. Der Arm muss gerade sein, die Schale waagerecht und völlig regungslos, sie darf in Hitze und Kälte nicht weichen, und ganz egal, ob und wie viel Nachschlag es gibt, man muss Haltung bewahren. Und wenn alles vorbei ist, musst du sagen: ›Bruder, tut mir leid, dass ich dich belästigt habe.‹ Ob gut oder schlecht, man muss es ungerührt hinnehmen!«
    Als der alte Jiang ihm zuhörte, wurde er blass, und der Großvogel machte in seinem Singsang weiter: »Das alte Küken hier hat noch einen Punkt! Die dritte Frage –«
    »Moment mal!«, rief der alte Jiang tonlos, »das Mundwerk von dem darf nicht mit dir spielen!«
    »Gib auf!«, ein donnerndes Gejohle der Meute.
    »Trotzdem, der darf nicht allein fressen«, dem alten Jiang schwollen die Adern, »du bettelst im Namen von Zelle fünf um Nachschlag, davon steht allen ein Teil zu!«
    »Und wenn ich nur ein Scheibchen Fleisch ergattere?«
    »Dann zerreiß es in sechzehn Stückchen.«
    »Scheiß Geschwätz«, beklagte sich Ye, das Entenküken, »mein Magen ist dreimal so groß wie deiner, sonst würde ich mich nicht so blamieren.«
    »Ich kann fünfmal so viel essen wie du!«, der alte Jiang warf sich in die Brust und nahm sein Gegenüber ins Visier, »was nützt dir dein Riesenkopf? Wenn du es nicht glaubst, dann lass uns vergleichen!«
    »Ich habe nichts übrig.«
    »Habe gestern die Beilagen verkauft!«
    »Ein Wettessen! Mit scharfen Lima-Bohnen«, feuerten wir die beiden an, »der Verlierer zahlt das Doppelte!«
    »Das Geld von Jiang ist noch nicht da, er kann es sich nicht leisten zu verlieren«, riet ich vorsichtig ab. Da krempelte der alte Jiang unerwarteterweise die Arme hoch und stürzte sich in die Schlacht: »Gebt mir was auf Kredit, mein Geld wird bald da sein!«
    »Auf die Plätze!«, rief der Großvogel.
    Die Meute stimmte den alten »Sportlermarsch« aus der Kulturrevolution an, und die ausgewählten Spieler betraten die Arena. Sie setzten sich wie japanische Samurai mit untergeschlagenen Beinen einander gegenüber und warfen einander mit einem überheblichen Lächeln in den Mundwinkeln Blicke zu. Die beiden sahen einander lange feindlich an, und als sie zufällig im gleichen Augenblick schluckten, sah es aus, als wollten sie einander verschlingen. Der Großvogel, der den Schiedsrichter machte, wickelte ein weißes Handtuch um den Kopf und öffnete pathetisch die vier in der Mitte des Raumes liegenden 500 Gramm-Packungen der aus Chongqing stammenden Bohnen und ließ die Ware rechts und links prüfen. Die Schläfen der beiden Kontrahenten begannen unwillkürlich zu arbeiten.
    Über eine halbe Stunde dauerte die krachende Sonate des Kauens, jeder hatte die Hälfte der scharfen Lima-Bohnen verdrückt. Beide hatten den Mund voll Blut, die Stirne war Richtung Mitte gerückt, es sah aus, als wollten sie wie Stiere die Hörner senken. Auf einmal ließen sie voneinander

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