Für ein Lied und hundert Lieder
Wand um uns herum, keine Zeitung hätte dazwischengepasst, nur Mu Yang winkte mir von weitem mit seiner kleinen Faust.
»Verpiss dich!«, schimpfte ich innerlich, doch äußerlich rang ich mir ein Lachen ab: »Ich weiß nur, wie man sich Exkremente unter den Nagel reißt, bin der Abtrittking.«
»Todeskandidaten sind keine Exkremente«, der Großvogel wollte provozieren, »sie helfen dir, aber du beschimpfst sie dafür.«
»Ich habe keinen Grund, Streit anzufangen.«
»Deine alte Krankheit ist wieder ausgebrochen.«
»Du alter Spion!«
Wie von der Tarantel gestochen, machte der Großvogel einen Satz, aber die jungen Todeskandidaten sprangen noch viel höher.
»Red keinen Unsinn!«, wie ein Leopard war ein junger Kerl zwischen uns gegangen, »wir helfen, wem wir helfen wollen, kümmer dich um deinen Kram!«
»Ich bin der Verantwortliche hier, wenn du nicht gehorchst, mache ich Meldung.«
»Dafür gibt es aber keinen Grund, Opa!« Der Ältere rief den Jüngeren mit einem Blick zur Räson, stand auf und flüsterte dem Großvogel ungewöhnlich vertraulich etwas ins Ohr, woraufhin dessen Schildkrötenaugen zu leuchten begannen. Danach blieb er untätig, es wurde dunkel, und schließlich und endlich zog er den Kopf und dann den Körper in seinen Panzer zurück.
Ich stand noch immer in der Gegend herum und war auf hundertachtzig, doch die beiden Toten legten mir die Hand auf die Schulter, damit ich mich mit ihnen hinsetzte.
»Lesen Sie ein Buch, mein Herr?«, lächelte der Ältere, »der Alarm ist vorbei.«
Ich war so bewegt, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte, würgte eine halbe Ewigkeit herum, bis ich endlich stockend herausbrachte: »Aber muss ich nicht arbeiten?«
Der junge Todeskandidat warf mir einen Blick zu, der Ältere hingegen schielte in die Runde und flüsterte mir ins Ohr: »Der Opa hat mehr Angst als Sie, wir beide sind schon genug, wenn wir noch einen mitreißen in den Tod, da wäre einer zu viel.«
»Sie sind der erste Mensch im Knast, der mich auffordert, ein Buch zu lesen«, sagte ich mit ehrlichem Respekt, »ich danke Ihnen.«
Das war eine mit Gold nicht aufzuwiegende Zeit, ich fing unter den lauernden Blicken der Meute an, meine alte Gewohnheit aufleben zu lassen und vor lauter Lesen das Schlafen und das Essen zu vergessen. Vom »Traum der roten Kammer«, der »Reise nach dem Westen« [50] , den »Annalen der Reiche der Ost-Zhous« bis zu den Romanen von Kundera und den Memoiren von Pasternak, ich hatte nicht damit gerechnet, dass ich in der Bücherei des Gefängnisses tatsächlich ein paar gute Bücher finden würde. Nach einigen heftigen Auseinandersetzungen hatte ich schließlich die Möglichkeit bekommen, aus der Zelle herauszugehen und Bücher auszuleihen, eine Weile hatte ich das Gefühl, das sei des Guten ein wenig viel. Die Pforte des Knastes tat sich auf, der Himmel war hoch, die Wolken waren fahl, das Geschrei des Wachhabenden Regierung Yu klang wie Musik in meinen Ohren. Meine fünf Mitangeklagten hockten ordentlich am Fuß der Mauer, es war wie verabredet, schnell ging ich zu ihnen hinüber, um die Zahl rund zu machen.
»Nicht die Köpfe zusammenstecken und tuscheln, das ist nicht erlaubt!«, warnte Yu, der große Kerl.
Notgedrungen redeten wir miteinander, indem wir auf den Boden starrten: »Unsere Fälle sind bald dran«, sagte Li Yawei. »Mach dich darauf gefasst, fünf Jahre zu sitzen!«
Die Glatze von Filmdichter Wan war klein, wie ein Hühnerei, aber sein lässiger Ton imponierte immer noch.
»Das geht nicht«, sagte Liu Taiheng und kratzte sich das blaue Entenei von einem Kopf, »Xiaomin hat schon ewig nichts mehr von sich hören lassen, ich möchte früher hier raus, um meine soldatische Moral zu festigen.«
»Von der Familie von Wan Xia hört man öfter was«, alberte ich, »ich habe gehört, die schicken noch Rosen?«
»Meine Romanzen sind immer gut«, prahlte Wan Xia, »eure Anwälte, das sind Feiglinge, Männer! Ich habe einfach eine Anwältin engagiert. Als ich sie zum ersten Mal sah, war ich hin und weg, habe sie ständig angestarrt und nur dummes Zeug geredet.«
»Wenn wir das früher gewusst hätten, hätten wir alle eine Anwältin engagiert«, sagte Gou Mingjun neidisch.
Alle lachten dieses knarrende Verbrecherlachen, Yu, der große Kerl, zückte den Elektroknüppel und rief: »Das ist gegen die Vorschrift, streckt eure Köpfe vor, alle sechs, ich brate euch eins über, bis ihr glüht.«
»Melde Regierung Yu, ich habe es am Herzen«,
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