Für ein Lied und hundert Lieder
Gefangenen kamen in die Zelle zurück und hatten längst alles ausgespült, das heißt, er hatte sich abgewischt und die Kleider gewechselt. Der Gerichtspolizist drängte wiederholt, der Wachhabende war vor Mitleid ganz hilflos und dem den Geruch von Scheiße verströmenden alten Jiang blieb nichts anderes übrig, als deprimiert zu gehen. Mit einem bitteren Lachen murmelte er: »Ich war ja gerade in der Hölle, ich habe keine Angst mehr.«
1991 war das Jahr der schweren Überschwemmungskatastrophe, die Gefangenen zirkulierten in großer Zahl. Am Höhepunkt der Entwicklung stopften sie 26 Leute in Zellen, die für zwölf bestimmt waren. Auf dem Kang, am Durchgang und um die Toilette herum konnte man sich nicht niederlassen, unser Zellenchef, der Großvogel Sun, appellierte an die Leute, die im Durchgang geschlafen hatten, sich quer hinzulegen, mit flachem Oberkörper, und die Beine, die herausschauten, mussten oben auf den Rand des Kang abgestellt werden. Diese brillante Entscheidung fand die Zustimmung des Wachhabenden und wurde im ganzen Gefängnis verbreitet. Doch nach Mitternacht rutschten alle diese völlig gefühllos gewordenen Beine den tief schlafenden Männern vom Rand des Kangs herunter und lagen dann kreuz und quer im Durchgang. Die Meute fluchte, was das Zeug hielt, jeder trat und schlug im Tran um sich und kämpfte um sein Terrain. Wer gewann, war der King, wer verlor, Räuber, die Starken entspannten ihre Beine, während die Schwachen sich in ihre Decken mummelten und Rücken an Rücken im Wind schliefen.
Die Toilette war immer schwieriger sauber zu halten, aber die Exkremente waren oft sauberer als die Menschen. Die Leute hatten auf ihren arschgroßen Territorien Schwierigkeiten miteinander, sie kämpften um jede Handbreit und hielten das für einen vergnüglichen Zeitvertreib. Sun Großvogels politischer Gegner war Mu Yang, der Arzt für chinesische Medizin. Die beiden pflegten, zum Entzücken der Wachhabenden, ein einzigartiges Denunziantentum.
Das war das Widerwärtigste, das mir begegnet war, seit ich im Knast saß. Der für unsere Zelle zuständige Regierung, Zwerg Li, erschien oft und ohne erkennbaren Grund mit gezücktem Elektroknüppel und Bodenfesseln in der Zelle und fesselte jemanden oder brannte jemandem eins über. Wir alle saßen da wie Grillen im Winter und gaben keinen Laut von uns, einen Tag lang verwandelten wir uns in einen schweigenden Mechanismus und vergruben uns in unserer Arbeit. Wenn es in der Zelle irgendeinen ungewöhnlichen Laut gab, spitzte der Großvogel die abstehenden Ohren und lauschte konzentriert; und Mu Yang, der sich mit großer Leidenschaft fit hielt, wackelte mit seinem weiblichen Gesäß und machte alleine vor dem Gatter seine tägliche Zehntausend-Schritte-Übung. Wie ein Anführer nickte er uns von Zeit zu Zeit zu, eine Anspielung, die heißen sollte, dass er die allerhöchsten Nicht-Regierungs-Sonderrechte genoss.
Eines Tages wurden aus dem Untersuchungsgefängnis des Kreises Ba zwei Todeskandidaten zu uns verlegt, was in mein düsteres Gefängnisleben etwas Farbe brachte. Zu Anfang trug die Meute ihre Koffer, als handele es sich darum, V.I.P’s zu empfangen, man wusch und putzte ihnen die Fußfesseln und versuchte, die beiden Arbeitsmaschinen durch Schmeicheleien für sich zu gewinnen. Doch nach den Streicheleinheiten stellten sich die beiden Kerle, die das alles nicht zu würdigen wussten, neben das Eisengatter, ließen ihre Blicke über die ganze Zelle streifen und steckten die Köpfe zusammen. Es war in der Tat eine Überraschung, als die beiden langsam die Reihen ihrer Gastgeber teilten und sich direkt bis zu mir vordrängten.
»Du bist kurzsichtig?«, fragte der Ältere der beiden und fing eilig an, seine Arbeit zu erledigen.
Wie ihre Hände in den Eisenfesseln herumflatterten, das konnte einen richtig schwindlig machen. Im Nu hatte sich ein kleiner Berg des Halbfertigprodukts Papiertüte aufgehäuft. Die Meute hatte vor Neid ganz blutunterlaufene Augen, ich duckte mich vollkommen weg, aber ich konnte diesen Stieratem spüren, der mich wie mit Flammenzungen umloderte. Ich beherrschte meine ängstliche Ungeduld und wartete, bis der Großvogel Speichel schluckend zu uns herüberstieg: »Du kannst dir nicht einfach zwei lebende Tote unter den Nagel reißen.«
Ich schnellte hoch und stellte mich ihm in den Weg, meine Fäuste knackten. Noch hatte ich mich in der Gewalt, ich durfte nicht noch einmal einen Aufstand machen.
Die Meute stand wie eine
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