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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Frage: Warum zeigst du nicht dein Gesicht?«
    Einen Augenblick lang herrschte Stille, dann sprang der alte Jiang auf einmal auf, seine dünnen nackten Beinchen verkrampften sich wie bei einem riesigen Ochsenfrosch, dem man bei lebendigem Leib die Haut abgezogen hat. Sein Geschlechtsorgan stand steil von ihm ab, ein erschütternder Anblick. Der alte Jiang zog mit der linken Hand langsam die Hose vom Kopf, mit der rechten drang er zwischen den After und wischte sich das Blut aus dem Hintern, wobei er hysterisch schrie: »Da hast du’s!!«
    Der Wachhabende, der mit Zuckerbrot und Peitsche arbeitete, gab dem alten Jiang, diesem Vertreter der Oberschicht, erst einmal den Elektroknüppel zu schmecken, dass der nach Vater und Mutter schrie und sein wahres, gemeines Gesicht zeigte; dann rief er den Gefängnisarzt und erlaubte sogar, dass er Jiang ein Abführmittel verabreichte. Und kaum, dass bei dem alten Jiang alles ungehindert lief, konnte er nichts mehr bei sich behalten, was er aß, kam sofort wieder heraus, es sah ganz so aus, als würde er wegen Dehydrierung dem Höllenfürsten begegnen, doch der Wachhabende gab ihm rechtzeitig zwei Pillen, um dem ein Ende zu machen.
     
    Nach dieser doppelten Leidenszeit hatte die – was Kleidung und Essen anging – schlechte Angewohnheit, sich für etwas Besseres zu halten, sich bei dem dürren alten Jiang gelegt, er sah aus wie ein Hungergespenst. Normalerweise war er ungekämmt und ungewaschen und hing teilnahmslos herum. Nur wenn er etwas zu essen sah, war der Teufel los. Routinemäßig machte sich die Gemeinschaftsküche, wenn sie die Essen alle verteilt hatte, auf dem gleichen Weg wieder zurück. Wenn in diesem Augenblick irgendetwas an Essen übrig war, dann verteilten sie es unterwegs. Unser Entenküken hatte einen mächtigen Bauch und scharfe Ohren, also hatte er freiwillig den Horchposten übernommen, klebte mit dem Ohr am Fenster und hielt eine leere Schale bettelnd aus der Fressluke, eine schwere Aufgabe. Der alte Jiang wollte diesen fetten Posten haben, drängte sich gebieterisch vor und streckte seine Schale in die Fressluke, die aussah wie eine Geschützmündung. Das Entenküken zerrte ihn weg, schüttelte hastig die Schulter und rief laut: »Nieder mit den Knasttyrannen!«
    Der Großvogel machte seine runden Schildkrötenaugen und griff schlichtend ein: »Wenn schon, dann ein fairer Wettbewerb. Ich stelle drei Fragen, die Antworten werden von allen begutachtet, wie sieht es aus?«
    Ye, das Entenküken, sagte hastig: »Zu spät! Der Reiswagen kommt zurück!«
    Der Großvogel sagte: »Na, dann bist du fürs Erste dran, der alte Jiang soll einen Schritt zurücktreten.«
    Der alte Jiang stotterte herum und gehorchte nicht, da verlor Sun Großvogel die Geduld: »Ich werde gerecht gegen dich sein.«
    Er hatte es kaum gesagt, als draußen ein fortgesetztes Dröhnen aufkam und Ye Entenküken entmutigt sagte: »Der Wagen hat nicht gehalten, es ist vorbei.«
    Ich hetzte: »Jetzt zeig mal, was du draufhast!«
    Ye Entenküken schaute traurig in die Runde, fasste sich ein Herz und streckte seinen ganzen rechten Arm in die Geschützmündung, seine Wangen klebten an der pechschwarzen Wand, und er schrie: »Noch eine Kelle Suppe!«
    Der klagende Laut hallte, man konnte es kaum aushalten, selbst der Wachsoldat wurde aufmerksam. Aber der donnernd davonrollende Reiswagen hielt nur kurz am hinteren Fenster und fuhr dann entschlossen weiter. In seiner Angst schlug Ye Entenküken ernsthaft gegen die Wand und schluchzte: »Ein bisschen nur, nur ein bisschen mehr, ich bitte euch, Brüder, wir sind doch alle schon gestraft genug!« Die Tränen liefen wie Regen.
    Es traf sich, dass der alte Gefängnisdirektor, der sich ins zweite Glied zurückgezogen hatte, auf Runde war. Als er mitbekam, was los war, stieß er einen langen Seufzer aus, rief den Fouragewagen zurück, kratzte ausnahmsweise vom Boden des Bottichs eine mit Holzsplittern vermengte, stinkende Suppe mit Salzgemüse und Glasnudeln.
    Der Großvogel und die anderen Kollegen freuten sich wie verrückt, und als sie die Suppe verteilt hatten, schlürfte Ye, unser Entenküken, der sich die Stirn an der Seite aufgeschlagen hatte, steinerweichend, die Glasnudeln baumelten ihm im Mundwinkel wie Silberfäden, und gebärdete sich so gefräßig, dass der alte Jiang mit den Ohren wackelte.
    »Kannst du das auch lernen?«, fragte der Großvogel mit Kreide in der Stimme.
    »Das kann ich auch so«, antwortete der alte Jiang.
    »Du hast

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