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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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protestierte Wan und zog aus der Jacke ein Beutelchen mit Pillen, »das ist mein Herzmittel, das hat mir meine Freundin geschickt.«
    »Ein Liebesöl fürs Herz«, kam unisono der höhnische Kommentar, »das muss man Jahr für Jahr, Monat für Monat und Tag für Tag nehmen.«
    Yu konnte nicht an sich halten und fing an zu lachen.
    »Liu Taiheng, Bücher zurückgeben«, rief ein Rotfell gegen die Tür gelehnt.
    »Lass mich noch ein wenig Sonne tanken!«, das war ganz schön dreist, »da vergiftet man am meisten Läuse.«
    Yu war auf hundertachtzig, schlug mit dem Knüppel zu und Taiheng nahm die Beine in die Hand, die beiden rannten eine halbe Ewigkeit im Kreis um uns kahle Suppenlöffel herum, Yu griff sich ihn mit einem Überraschungsangriff, bekam ihn durch uns hindurch am Schlafittchen zu packen und zerrte ihn mit dem Kopf zum Himmel davon, als sei er ein Seidenhuhn.
    »Was musst du denn anstellen?!«, schrie der alte Yu.
    »Alle erzählen von Ihren Fähigkeiten im Kampfsport«, nuschelte Taiheng mit seinem zahnlosen Maul, »wie wäre es, wenn Sie mich zum Schüler nehmen?«
    Taiheng bekam ein paar Tritte in den Hintern, aber der Kerl machte sich die Gelegenheit zunutze und überschlug sich zweimal, kroch hoch und schrie laut: »Treten! Von Ihnen getreten zu werden ist allemal angenehmer als der Elektroknüppel!«
    Als Yu das hörte, holte er sofort aus dem Büro des Wachhabenden einen frisch aufgeladenen großen Polizeiknüppel, was Taiheng einen solchen Schreck einjagte, dass er sich in die Hosen machte: »Lieber guter Regierung Yu, wenn Sie mir noch so vorsichtig die Knochen durchwalken, bringt das im Grunde gar nichts, und wenn ich in Scheiben auseinanderfalle, was dann? Mein Mund ist geölt, aber doch auch, um Ihnen die Langeweile zu vertreiben.«
    »Mir ist nicht langweilig.«
    »Wir sind keine Fräuleins, aber Sie müssen sich den ganzen Tag mit uns beschäftigen, da ist es aber schwer, sich nicht zu langweilen.«
    Regierung Yu legte den Kopf zur Seite, aber er musste doch lachen, also wedelte er mit dem Ärmel: »Du brauchst deine Bücher nicht zurückzugeben, troll dich in deine Zelle!«
    Als die Reihe an mir war, ging ich durch die Tür der Bücherei, der Rotfell-Aufseher war gerade mit einer bezaubernden weiblichen Gefangenen am Schäkern. Ba Tie, der hier angestellt war, vergrub seinen großen kahlen Schädel in der Registratur und übertrug die Buchnummern, er sah aus wie ein ganz hingegebener Buddhist.
    »Du hast es ja nicht schlecht getroffen«, sagte ich anzüglich, »wenn du es jetzt noch schaffst, deine Frau hereinzubringen, dann kannst du hier eine Familie gründen.«
    Als Ba Tie das hörte, legte er seinen Stift hin und seufzte zwischen zwei Bücherregalen hervor: »Ich verzeihe dir, Bartgesicht. Intellektuelle sind in diesen Dingen sehr naiv, wir können den Staat nicht ausspielen.«
    »Man muss das mit etwas Distanz betrachten, am besten aus der Distanz eines Menschenlebens heraus.«
    Ba Ties Mundwinkel fingen unwillkürlich an zu zittern, er verstummte mitten im Atemholen.
    In diesem Augenblick trat Regierung Yu in den Raum und trieb uns an, außerdem hob er den Fuß und fugte mir das Gesäß.
    »Gleich fertig!«, gab ich zurück.
    Die Gefangene starrte den alten Yu geistesabwesend an.
    »Hast du was?«, sagte der alte Yu verschroben.
    »Hier kann man nicht reden«, sagte die Gefangene, sie genierte sich.
    Der alte Yu räusperte sich, als schlucke er gerade eine ganz seltene Spezialität herunter. Die Gefangene ging hinaus, die günstige Gelegenheit war vorbei, doch sie drehte bedeutsam die Schenkel und warf ihm über die Schulter einen Blick zu, einen Augenaufschlag so voller Trauer, dass es jedem harten Kerl auf der Welt die Knochen erweicht hätte. Ich packte meine Bücher und ging ihr nach. Der alte Yu scherte sich nicht weiter um die Vorschriften eines Aufsehers, drängte sich zwischen uns und packte durch diese Nahtstelle ihre beiden unstet hin und her schlingernden Teile. Die Gefangene machte vor Schreck ein paar rasche Schritte. Ich hatte schon seit Jahren keinen solchen Porno mehr gesehen, sofort spürte ich das Speichelsekret im Mund und an der Zunge und am Unterleib spannte sich ein überflüssiges Stück Fleisch.
     
     
    Zurück in der Zelle, saß ich eine ganze Weile wie benommen herum, bevor ich mich so weit sammeln konnte, um mit meinen Büchern Inventur zu machen. Ein gutes Dutzend Bücher hatte die Meute zur Seite geschafft, das hatte ich nicht erwartet. Ich griff mir einen

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