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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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durch eine weitere kleine Tür, dann waren wir bei der zweiten Produktionsbrigade, in der es am meisten Politische gab. Das Gelände des Gefängnisses Nr. 3 war ein Irrgarten, außer einer zahlenmäßig relativ kleinen Einheit mit Strengstbehandlung und der Erziehungsbrigade gab es sechs regelrechte Produktionsbrigaden, davon waren drei in Gebäuden untergebracht, die kreisförmig arrangiert mit den Dächern aneinanderstießen. Sämtliche Gebäude auf dem Areal des Gefängnisse bestanden aus zwei Stockwerken, einem Erdgeschoss und einem ersten Stock, die Brigadebüros waren einander ungefähr gleich und schauten von einer Terrasse auf einen Sportplatz im Hof. Ich betrat das Brigadebüro, Ausbilder und Brigadeleiter fragten der Reihe nach nach meinen Lebenslauf, riefen einen Rotfell vom Dienst, der mich zu meiner Arbeitsgruppe führen sollte.
    Im Gebäude gab es hundert Wege in alle Richtungen, das war bequem, wenn man entlegene Ecken untersuchen wollte. Die elfte Gruppe, zu der ich gehörte, lag genau an dem Treppenaufgang, über den die Gefangenen hinauf- und hinuntergingen, wir mussten nicht die Treppen hinunter. Die Zelle sah aus wie ein steinerner Sarg, zwei Reihen von Eisenbetten, Kopfende an Fußende, dazwischen der Durchgang, der direkt zu einem Eisenfenster am anderen Ende führte. An diesem Tag hatte einer seine Strafe abgesessen und wurde freigelassen, ich hatte Glück, mir wurde vom Gruppenführer nicht weit vom Fenster eine freie Bettstelle oben zugewiesen, die Bettnummer war 11, meine Glückszahl.
    Ich tat einen langen Seufzer, strich das Bett glatt und legte mich hin und hatte das Gefühl einer nie gehabten Stabilität. Der Himmel war grau, draußen fing es an zu tropfen, ein kalter Regen, doch die Lichtquelle war über meinem Kopf. Ich legte mir etwas unter und berührte die warme Glühbirne, legte mich wieder zurück und lachte dämlich. Ich blinzelte mit den Augen, durch die Wimpern wurde das Licht gefiltert in zahllose winzige goldene Nadeln oder fliehende Fadenwürmer. Als ich klein war, habe ich so in den Himmel geschaut, danach habe ich oft geblinzelt, denn ich bin immer kurzsichtiger geworden.
    »›Elf‹, das ist ein gutes Omen«, murmelte ich mir zu, »am Ende kann ich an meine Kindheit denken, ich bin daheim.«
    Es schmerzte ein wenig, als mich auf einmal von unten eine Stimme rief, ich beugte mich zur Seite, es war ein Kerl mit einem großen Kopf und einer Brille auf der Nase, »Gefangener« stand, unterstrichen, auf seinen Klamotten, die aussahen, wie eine übergroße Schuluniform.
    »Ich bin Li Bifeng«, lachte er bescheiden, »ich habe schon viel von Ihnen gehört, Sie sind ein berühmter Mann, ich hätte nicht gedacht, dass wir uns hier treffen würden.«
    So höflich hatte seit Jahren niemand mit mir gesprochen, einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, einem alten Bekannten begegnet zu sein.
    Li Bifeng sah mein Stutzen, nahm hastig seine Mütze vom Kopf und ließ ein weiteres Stück von seinem ausladenden Schädel sehen: »Ich habe Ihre ›Tote Stadt‹ gelesen, die ›Gelbe Stadt‹, sehr oft sogar. Als Sie in Mianyang waren, um Ihre Schwester zu besuchen, hätte ich fast nicht an mich halten können und Sie besucht, schade.«
    »Wirklich?«, ich war überwältigt von so viel Freundlichkeit, machte, dass ich von dem Bett herunterkam und mich zu meinem neuen Freund setzte. »Sie kannten meine Schwester?«
    »Bevor mein Freund Wen Qiang verhaftet wurde, war er mit Ihrer Schwester in der gleichen Einheit, er sagt, als Ihre Schwester starb, hätten die weiblichen Gefangenen auf der Farm Neues China furchtbar geheult, sie hätten aus eigenem Antrieb Geld gesammelt für einen Trauerflor und ein Gebinde. Ach, eine gute Frau.«
    »Stimmt, das stimmt«, gab ich zurück. Aus dem Mund eines Fremden über meine Schwester reden zu hören, regte mich derart auf, dass ich etwas barsch wurde.
    »Bald gibt es essen«, bremste mich Li Bifeng, »Sie sollten sich ein paar Minuten ausruhen, wir sehen uns nachher.«
    Ich stand da wie ein Ölgötze und zog einen Schuh nach. Li Bifeng hatte sich in Luft aufgelöst.
    »Also hiss deinen Magen und lauf«, dachte ich verärgert. Aber mir war nicht klar, dass das die Art des Dichters und Aktivisten Li Bifeng war, er war immer in Eile, er war in der Zeit unterwegs und immer am falschen Ort.
     
    Das Abendessen wurde gerade ausgegeben, als Li Bifeng mit einer Nudelschale in Händen gerannt kam: »Ich habe hier gesalzenes Gemüse«, sagte er und ging auf der

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