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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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mitbekommen. Die Beamten werden reich, und das Volk rebelliert, wenn man nicht enthauptet wird, hat man Glück gehabt, die Kommunistische Partei hatte vor, mich zu rehabilitieren, aber da sage ich, scheiß drauf.«
    »Wollen Sie mir Ihre Geschichte erzählen?«, fragte ich bescheiden.
    »Das ist alles schon so lange her, die Worte sind mir verfault, in mir drin verfault, ihr Gelehrten vom neuen Schlag versteht das nicht.«
    Am Vorabend meiner Entlassung brach sich der aufgestaute Groll zwischen den Konterrevolutionären von ’89 und den normalen Gefangenen beim ersten Anlass Bahn und führte zu Verfolgungen im großen Ausmaß. Wegen einer Bagatelle, dem Anstellen bei der Essensausgabe, kam es zu einem Streit mit einem Produktionsgruppenführer, der auf den anderen einschlug und schrie: »Ihr seid wie Pferde, die die ganze Herde verderben, ihr bringt hier alles durcheinander!«
     
    Der Geschlagene hieß Jiang, ein politischer Häftling und ein sehr zuvorkommender Mann, er war vollkommen vor den Kopf geschlagen, dachte nicht einmal daran, sich zu wehren, und wurde in einer Art mongolischem Ringerstil zu Boden geworfen. Der Gewalttäter hatte den kleinen Finger, jetzt wollte er die ganze Hand und setzte den Fuß auf das Lamm, das da mit dem Gesicht nach oben vor ihm lag, hob die Faust wie einen Presslufthammer und schlug ihm direkt auf den Mund. Die anderen standen gaffend daneben. Aus reinem Instinkt wandte Jiang den Kopf zur Seite, um den Schlägen zu entgehen. Man hörte nur einen Knall, der Fleischhammer schrappte an seinem Ohr vorbei und schlug eine Delle in den Boden!
    Die Situation war kritisch, wie auf Verabredung stürzten die Konterrevolutionäre von ’89 von allen Seiten heran und schrien: »Man darf niemanden schlagen!«
    Und die Meute fing an, Radau zu machen: »Nicht schlagen!« Die das so verloren forderten, sind nicht nur nicht durch die über hundert Leute gedrungen, die in mehreren Reihen um den Ort des Geschehens standen, im Gegenteil, sobald einer einen Schlag abbekam, ergab er sich. Es waren erst ein paar Sekunden vergangen, als schon eine ganze Reihe von Leuten über den Körper dieses einen Konterrevolutionärs drüberstiegen, jeder zeigte große Begabung im Arm Umdrehen, am Hals Zerren, am Bein Ziehen und im In-die-Seite-Treten. Nur unser Babyface, unser jüngster Yang Wei hatte relatives Glück: Der Mörder, der eins neunzig maß, hob ihn mit einer Hand in die Höhe und ließ ihn da zappeln wie einen Ochsenfrosch.
    Ich habe bei diesem Handgemenge, bei dem die Kräfte sehr unterschiedlich verteilt waren, nicht mitgemacht, ich habe die ganze Zeit nur den Wachhabenden oben auf der Terrasse beobachtet. Er zog lächelnd ein Feuerzeug aus der Tasche, zündete sich eine Zigarette an, drehte sich um und ging hinein. Erst nach über zehn Minuten trat er mit einer herrischen Geste auf den Plan und befahl der Meute aufzuhören.
    Mit von der Partie waren Abgesandte des Gefängnisses, die mit den Führern der Brigaden eine Beweisaufnahme machten.
    »Das war der heftigste kollektive Krawall hier in diesem Gefängnis seit Jahrzehnten«, belehrte uns der Unterabteilungsleiter der Politabteilung des Gefängnisses, »wir müssen die Unruhestifter mit aller Strenge bestrafen, um den Vorschriften des Gefängnisses und den Gesetzen des Staates Geltung zu verschaffen.«
    Die Richtung, in der sich das Ganze entwickelte, war folgende: Die emotionalen Aussagen der beiden verfeindeten Seiten wurden aufgenommen, es gab keinen einzigen Indizienbeweis, der für das Opfer sprach. Anschließend wurde der von Wunden übersäte Haupttäter Jiang mit ein paar anderen Mittätern, alle mit blauen Augen und geschwollenen Nasen, in eine kleine Einzelzelle gesperrt, dort sollten sie zur Besinnung kommen, in sich gehen und auf die weitere Bestrafung warten; der wahre Täter war schlagartig zu einer Persönlichkeit der Nachrichten geworden, der eine Weile die Aufmerksamkeit auf sich zog. Und auf besondere Genehmigung der Regierung trug er den Arm in einer Schlinge und durfte sich zu Hause kurieren, frei und sorgenlos – und weil diese entscheidende Faust so überaus tapfer gewesen war, hatte er nicht nur eine Delle in den Lehmboden geschlagen, sondern hatte sich auch einen Splitterbruch am Handgelenk zugezogen!
    Uns blieb nichts anderes übrig, als in einen kollektiven Streik zu treten, um so als Gruppe die Würde der Konterrevolutionäre von ’89 wiederherzustellen. Diesmal waren wir alle innerlich stahlhart, Versprechungen,

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