Für ein Lied und hundert Lieder
weißhaarigen Kerl im Bett unter Ihnen haben die Rebellen während der Kulturrevolution die Wohnung konfisziert, er hat sich den Kerlen widersetzt, Resultat: Eine Person kam ums Leben. Eigentlich hätte er hingerichtet werden müssen, aber infolge seiner Selbstanzeige wurde seine Strafe abgemildert auf Hinrichtung auf Bewährung. Er sitzt schon vierundzwanzig Jahre, sein Vergehen bezeichnen sie als konterrevolutionäre Gewalt und Mord.«
Ich atmete erstaunt durch: »Wie hat er das ausgehalten?«
»In diesem Kreis hier will niemand über seinen Fall reden, von den Konterrevolutionären von ’89 abgesehen. Vielleicht sind sie nach vielen Jahren der Umerziehung durch Arbeit müde geworden und zu faul, das alles wieder und wieder durchzukauen. Sehen Sie, der, der dahinten das Geschirr spült, das war die Nummer drei in der Pflaumenblütenpartei. Die Nummer eins und die Nummer zwei wurden hingerichtet, er hat lebenslänglich.« [58]
»Die Pflaumenblütenpartei?«, sagte ich verblüfft. »Als ich ein Kind war, habe ich auf Bekanntmachungen den Namen dieser konterrevolutionären Organisation gelesen.«
»Wie die reaktionären religiösen Bruderschaften. Außerdem gab es da noch einen Kaiser, der offiziell den Thron bestiegen hat, er war einmal bei mir in der gleichen Zelle, er hat ständig im ›Inneren Kanon des Gelben Kaisers‹ gelesen. Im vergangenen Monat wurde der Kaiser auf einer großen Gefangenenversammlung von dem Politkommissar des Gefängnisses zurechtgewiesen. Seine Majestät wollte sich für einen Fernkurs an der Universität anmelden, aber er hatte kein Geld für die Studiengebühren; aber Not macht erfinderisch, also erließ er ein kaiserliches Dekret an Jiang Zemin und Li Peng, ihm aus dem Staatsschatz die Auslagen zu erstatten, damit Ihre Majestät Ihr Studium abschließen kann.« [59]
»Haben Sie das jetzt erfunden?«
»Ich soll verflucht sein. Das kaiserliche Edikt war mit Kugelschreiber geschrieben, es ging los mit: ›Zu Händen der beiden hohen Minister Jiang und Li‹, den Wachhabenden hat es den Angstschweiß auf die Stirn getrieben, so erschrocken waren sie. Wenn das ein paar Jahre früher gewesen wäre, hatte es für ein paar Jahre zusätzlich gereicht.«
Ich verzog den Mund, aber ich konnte nicht lachen und wollte auch nicht wissen, wie das Ganze ausgegangen war. Li Bifeng floss immer noch das Herz über, vermutlich hätte er ein paar Tage und Nächte lang über ähnliche Personen erzählen können. Wenn man sich das erste Mal begegnet, gibt es noch den Reiz des Neuen, wenn die Neugierde nachlässt, dann wird alles zur Last, träge und monoton. Du wirst von normalerweise kohleverschmierten Gesichtern belästigt, die Stimme wird steif, du willst möglichst weg und an die frische Luft. Das grausame und langweilige Leben, die persönliche Geschichte von Massen von Verschwörern wird auf diese Weise von einer Plauderei zur nächsten verhackstückt, vertrödelt und nach und nach zum spurlosen Verschwinden gebracht.
Hier ist neben Qincheng das berühmteste Gefängnis für politische Gefangene des ganzen Landes. Obwohl normale Straftäter ein Mehrfaches der Konterrevolutionäre ausmachen, so war doch dies hier in jedem Abschnitt der Geschichte das wichtigste Konzentrationslager der Kommunistischen Machthaber für Konterrevolutionäre. Im Verhältnis zu den früheren politischen Gefangenen des alten Schlages, die zehn bis zwanzig Jahre bekamen, hatten die Konterrevolutionäre von ’89 kurze Haftstrafen abzubüßen, ihr Bildungsstand war hoch, und sie bildeten eine offensichtlich »fremde Spezies«. Das Massaker vom 4. Juni hatte In- und Ausland erschüttert, das Mitgefühl jedoch und das Verständnis und die Beachtung, die man uns entgegenbrachte, hätten sich andere lebende Fossilien des Gefängnisses hier nicht einmal vorzustellen gewagt.
»Ihr gehört nicht in dieses Gefängnis«, sagte ein Mitglied der Pflaumenblütenpartei voller Feindschaft zu mir, »ihr seid wie Falschgeld, früher oder später werdet ihr rehabilitiert, wie die Rechtsabweichler von 1957 und die Parteigänger des Kapitalismus während der Kulturrevolution. Sehnst du dich nach dem Tag, an dem du hier herauskommst? Ihr sitzt nicht im Knast, sondern in eurem politischen Kapital.«
»Die Welt hat sich verändert, Kamerad«, versuchte ich mit ihm zu reden.
»Ich habe viele politische Bewegungen gesehen«, er stellte sich taub, »auf einmal hat sich der Tonfall geändert. Wir vom Land haben die Scheiße nicht
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