Für ein Lied und hundert Lieder
sich Runde um Runde weiter; jedes Mal, wenn sie an einem Gefangenenpferch vorbeikamen, schrien sie einer nach dem anderen wieder und wieder ihren Text: »Ich bin der Soundso, ich werde von der Regierung bestraft, weil ich ein tyrannischer Knastkönig bin. Ich habe meine Strafe verdient, nehmt euch kein Beispiel an mir!«
Die Stimmen wurden krächzend und heiser, es war ein unglaublich jämmerlicher Anblick. Mir fiel auf, dass ihre Knöchel schon aufgerissen waren. Einer stürzte und legte instinktiv die Arme um den Kopf, da konnte die Bambusrute noch so pfeifen, er kam nicht mehr hoch. Er wurde weggeschleppt, da brach der Nächste zusammen … am Ende waren nur noch zwei übrig, sie fielen wie auf Verabredung auf die Knie, deckten den Kopf und jammerten: »Wir können nicht mehr.«
Die Kampagne war ein Erfolg auf ganzer Linie, ein Gefängnisdirektor fasste es mit folgenden Worten zusammen: »Solange noch Gefängnisse existieren, greifen die Kampagnen zur freizügigen Selbstanzeige und zur Bekämpfung tyrannischer Knastkönige nahtlos ineinander, wie Zahnräder, in zyklischer Wiederkehr treiben sie das Leben der Gefängnisinsassen voran.«
Im Frühjahr 92 wurde ich im Untersuchungsgefängnis von Shibanpi mit Cui, einem Mörder vom Kiefernberg, zusammengesteckt. Er wurde zum Tode verurteilt, weil er während der Kampagne für freizügige Geständnisse den Tod eines Mithäftlings zu verantworten hatte. Als er von der Verhandlung in die Zelle zurückkam, klammerte er sich mit klirrenden Ketten an mich, als sei ich der rettende Strohhalm, und brüllte unsinniges Zeug: »Ich habe einen totgeschlagen, Leben für Leben, gut, aber das muss dann auch für den Aufseher am Kiefernberg gelten. Ohne seine wiederholten Anspielungen, wer hätte da gewagt, Hand an jemanden zu legen?«
Ich fragte: »Was hat er denn gesagt?«
»Er hat immer wieder an der Zellentür gestanden, mit so einem finsteren Gesicht, und mit dem Fuß ungeduldig auf die Dielen gestampft. Als die Oberen den Antreiber sahen, haben sie alle Wadenkrämpfe bekommen, sich herumgedreht und mich angebrüllt. Du weißt selbst, dass die Mörder am Kiefernberg die Sündenböcke sind, wenn sie einen Fall mit Gewalt lösen, bekommen die Zellenbeauftragten eine Prämie, die Oberen bekommen ihren Anteil an dem Braten, aber bis zu mir sind sie nicht gekommen; als sie einen Sündenbock brauchten, hat es mich als Ersten getroffen.«
Auch wenn er sich für das Ganze keine Beweise aus den Fingern saugen konnte, schrieb ich dieses übliche Lamento doch in seine »Berufungsschrift« hinein. Der Zwerg Li, der für uns den »elterlichen Beamten« gab, sah auf seinem Ehrensitz hinter dem Tisch ständig auf die Uhr: »Mach voran!«, sagte er, »ich will noch meine Süße abholen, wenn es nach sechs wird, schaffe ich das nicht mehr.«
»Dann machen wir eben morgen weiter«, ich wischte mir den heißen Schweiß von der Stirn, »ich habe noch drei Abschnitte.«
»Schreib die wichtigen Punkte richtig deutlich, das reicht, aber mach keinen Roman draus!«
»Es geht um Leben und Tod!«
»Um einen Scheiß geht es! Du hast unter meiner Anleitung über zwanzig Berufungsanträge von Todesurteilen geschrieben, und wie vielen hat das das Leben gerettet?«
Der Zwerg redete nicht um den heißen Brei herum: »Die Überprüfung der Todesurteile durch den höchsten Gerichtshof wandert in die kleinen Kommissionen herunter, eine überprüft gerade die Fälle, nebenan.«
»Wenn sie sie schon überprüfen, warum muss man dann noch Berufung einlegen?«, sagte ich verärgert.
»Das ist das Verfahren, der Papierkram muss vollständig sein.«
Als Cui das hörte, sah sein Gesicht aus wie Staub. Damals erreichten die gemeinsamen Aktionen der Gefängnisse von Chongqing gegen tyrannische Knastkönige ihren Höhepunkt, Cui wurde mit drei weiteren Schuldigen zurück zum Kiefernberg gebracht, zu einer großen Kampfkritikversammlung. Danach wurde er mit auf den Rücken gefesselten Händen auf den in der Nähe gelegenen Kiefernwaldhügel gezerrt (der Ort, an dem General Yang Hucheng [32] und seine ganze Familie von Guomindang-Agenten ermordet worden ist) und nach dem Gesetz hingerichtet.
Ich war nicht in der Lage, im Gefängnis eine besonders gute Figur abzugeben. Meine Stellung war sehr niedrig und auch mein gesellschaftliches Ansehen nicht sonderlich groß, beides reichte jedenfalls nicht, um mich für einfachste Aufgaben zu qualifizieren. Wenn man lange in einem großen Gefängnis eingesperrt
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