Für einen Kuss von Frisco
weggelaufen bist“, riet sie der Kleinen, „gleich, wenn er nach Hause kommt.“
Frisco sah den rosa Zettel an seiner Haustür schon von unten. Ungeachtet der Schmerzen im Knie eilte er die Stufen hinauf und riss die Notiz herunter.
„Habe Natasha gefunden“, stand da in großen Blockbuchstaben. Gott sei Dank ! Er schloss für einen Moment die Augen vor Erleichterung. Fast eine Stunde lang hatte er den Strand abgesucht, voller Furcht, dass seine Nichte gegen sein Verbot wieder ans Meer gelaufen war. Und wenn sie sich darum einen Teufel scherte, konnte sie auch einfach ins Wasser gegangen sein.
Dann hatte ihm obendrein ein Bademeister erzählt, dass am frühen Morgen die Leiche eines Kindes am anderen Ende des Strands angespült worden sei. Frisco wäre fast das Herz stehen geblieben. Von einer Telefonzelle aus hatte er geschlagene fünfundvierzig Minuten lang versucht, die zuständige Polizeiwache zu erreichen, um herauszufinden, was an diesem Gerücht dran war.
Schließlich stellte sich heraus, dass es sich bei der vermeintlichen Kinderleiche um eine tote Babyrobbe handelte. Aber Friscos anfängliche Erleichterung schlug schnell wieder um in Verzweiflung – er hatte so viel Zeit verloren! Er machte sich wieder auf die Suche.
Frisco öffnete die Augen wieder. Den rosa Zettel hatte er in der Hand zerknüllt. Jetzt strich er ihn glatt, um den Rest der Botschaft zu lesen. „Natasha gefunden. Wir sind bei mir. Mia.“
Mia Summerton. Wieder einmal hatte sie ihm den Tag gerettet.
Auf seinen Krückstock gestützt, ging er zu Mias Wohnungstür und überprüfte dabei sein Spiegelbild im Fenster seines Wohnzimmers. Sein Haar war völlig zerzaust, und er wirkte, als versuchte er sich hinter seiner Sonnenbrille zu verstecken. Sein T-Shirt sah aus, als hätte er darin geschlafen; seine Shorts sahen nicht nur so aus. Er bot einen grauenvollen Anblick und fühlte sich noch viel grauenvoller. In seinem Kopf hämmerte es, seit er aufgestanden war. Und seit er festgestellt hatte, dass Natasha nicht zu Hause war, dröhnte darin ein Presslufthammer. Auch jetzt hatte er immer noch beinahe unerträgliche Kopfschmerzen.
Obwohl ihm bewusst war, dass er nicht nur schrecklich aussah, sondern auch so roch, läutete er an Mias Tür. Sein T-Shirt stank wie eine ganze Schnapsbrennerei. Er hatte sich das erstbeste gegriffen, um schnellstmöglich loszukommen, und mit sicherer Hand ausgerechnet das erwischt, mit dem er in der Nacht ein verschüttetes Glas Whiskey aufgewischt hatte.
Mia öffnete die Tür wie ein wahr gewordener Männertraum. Sie trug knappe Laufshorts, die das Wort „knapp“ neu definierten, und ein bauchfreies Sporttop, das dem Wort „Lust“ eine völlig neue Bedeutung gab. Ihr Haar war zu einem Zopf geflochten und noch feucht.
„Alles okay, es geht ihr gut“, begrüßte sie ihn. „Sie sitzt in der Wanne, weil sie sich so schmutzig gemacht hat.“
„Wo hast du sie gefunden?“ Sein Mund war trocken, und seine Stimme klang rau.
Mia wandte sich um und rief nach hinten: „Wie geht’s dir da drin, Tasha?“
„Prima“, rief die Kleine fröhlich zurück.
Mia trat zu Frisco hinaus auf den Laubengang. „In der Harris Avenue. Sie hat dort auf der Baustelle im Dreck gebuddelt …“
„Himmelherrgottnochmal ! “, fluchte Frisco. „Was denkt sie sich eigentlich dabei? Sie ist fünf Jahre alt! Sie kann doch nicht einfach nach Lust und Laune herumspazieren und ausgerechnet auf einer Baustelle spielen!“ Frisco fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und versuchte, seine Gefühle in den Griff zu bekommen. „Ich weiß, dass es nichts bringt, sie anzubrüllen …“ Er zwang sich, leiser zu sprechen, tief durchzuatmen und all den Frust und die Sorgen der letzten paar Stunden von sich abfallen zu lassen. „Was soll ich bloß tun? Sie ignoriert einfach, was ich ihr sage.“
„Das sieht sie anders“, entgegnete Mia.
„Ich habe ihr klipp und klare Regeln genannt: Sie soll mir Bescheid sagen, wenn sie die Wohnung verlässt. Und sie soll im Hof bleiben.“
„Ja, aber für sie gelten die Regeln nicht, wenn Mommy – oder Onkel Frisco – morgens nicht aus dem Bett kommt.“ Sie sah ihn herausfordernd an. Im strahlenden Morgenlicht wirkten ihre Augen eher grün als braun. „Sie sagte mir, sie hätte wieder zu Hause sein wollen, ehe du aufwachst.“
„Regel bleibt Regel …“, setzte Frisco an, doch Mia unterbrach ihn.
„Und ihre Regel lautet“, sagte sie, „wenn du dich in einer Flasche Whiskey
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