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Für hier oder zum Mitnehmen?

Für hier oder zum Mitnehmen?

Titel: Für hier oder zum Mitnehmen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ansgar Oberholz
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sofort!« Ich winke freundlich in den Tresen, drehe mich in die Küche, blicke zur Decke und auf die Kellertreppe, die immer noch das gleiche Bild zeigt, und stelle mich freiwillig. Sobald ich den Tresen betrete, schalte ich um auf Autopilot, Eiskunstläufern gleich, die selbst lächeln, wenn sie auf das Eis stürzen.
    »Mensch, Chef, läuft langsam bisschen besser, wie man so sieht und so hört, wa?«
    Die Schwestern sprechen meist in sauberem Wechsel, erst die eine, dann die andere. Schräg gegenüber in der Torstraße betreiben sie ein Geschäft für Maniküre und Pediküre, kurz Nagelstudio, seit Ende der siebziger Jahre, also bereits fünfundzwanzig Jahre lang. Sie sind Rosenthaler-Platz-Urgesteine, hatten sich mir schon während der Bauphase vorgestellt, die neuen Nachbarn. Sie kennen viele Geschichten über den Platz und konnten ihr Nagelstudio auch im Sozialismus immer als privaten Betrieb führen. Laut eigener Aussage war den Frauen in der DDR die Pflege der Hände und Füße außerordentlich wichtig, und die Geschäfte liefen gut.
    Sie tragen meist unterschiedliche Kleidung, die aber farblich aufeinander abgestimmt ist. Adrette Frauenkostüme, etwas altertümlich, mit Hollywoodeinschlag, Sonnenbrillen gerne auch bei schlechtem Wetter. Die kurzen, sichtlich gefärbten Haare sind stets akkurat frisiert. Sie besitzen einen kleinen faltigen Hund, der auf den Namen Püppi hört und der selten selber läuft, sondern in der Regel bei einem der beiden auf dem Arm sitzt. Püppis Zunge hängt ständig hechelnd aus dem Mund. Die Zwillinge sehen jünger aus, als sie sind, ich schätze sie auf Anfang fünfzig. In einer festen Beziehung stecken sie bloß mit sich selber. Sie verkörpern so etwas wie ein privates Ordnungsamt am Rosenthaler Platz.
    »Ja, doch, kann man so sagen, vor allem die Abende werden besser. Und ich glaube, wenn jetzt erst mal der Herbst richtig losgeht, dann steigen auch die Umsätze.«
    »Vastehe. Dann musste vielleicht ooch nücht ma selba inn Tresen?«
    Heute sind sie in Hellblau gekleidet, die Nägel auch.
    »Das ist jetzt nur ein Notfall. Die Mitarbeiter haben im Keller zu tun.«
    »Wat is denn so Wischtijet im Keller, dass du hier oben den Laden schmeißt? Brennt dit da unten?« Sie lachen sich gegenseitig an.
    »Was wollt ihr denn bestellen?« Ich versuche die Neugierde der beiden zu ersticken.
    »Oh, scheint ja wat janz Jeheimet da im Jeheimkeller zu sein, wa?«
    Das sagen sie zu sich, nicht zu mir. Die Zwillinge sprechen oft so miteinander, als sei man gar nicht anwesend, lautes Denken. Dabei wirken sie wie zwei kommunizierende Hirnhälften, der dritte Gesprächsteilnehmer dient als Balken, der die beiden Hälften verbindet, er lernt das Gefühl kennen, das man haben muss, wenn man Gedanken lesen kann.
    »Ja, sehr jeheim, wiet aussieht!«, antwortet die andere Gehirnhälfte. Ich überlege, welche von beiden die linke, also eher rationale, und welche die rechte, eher emotionale Hälfte repräsentiert.
    »Ach, nichts Dramatisches«, sage ich. Ich gebe mich geschlagen, will diesem öffentlichen inneren Monolog nicht weiter ausgesetzt sein. »Unsere Putzfrau hat eben angeblich ein Gespenst im Keller gesehen.«
    In dem Moment, in dem ich es ausspreche, komme ich mir lächerlich vor und wundere mich über mich selber. Die Szene, die sich da im Keller abspielt, ist völlig absurd, und ich sollte nicht nach außen tragen, dass ich Mitarbeiter habe, die an Gespenster glauben. Und dann serviere ich diesen Sachverhalt auch noch brühwarm den Sheriffs vom Rosenthaler Platz. Mit den Effekten des viralen Marketings kenne ich mich aus. Bevor die Zwillinge sich über mich lustig machen können, setze ich nach: »Eine spanische Putzfrau vom Lande. In Spanien glauben die an so einen Quatsch! Was darf es denn nun sein, meine lieben Nachbarn?«
    Die Zwillinge schauen sich an und sagen eine Zeitlang gar nichts.
    »Der weiß wohl nicht, was hier schon alles passiert ist«, setzen sie nach einer Schweigeminute an. »Da sollten wir ihm mal eine kleine Nachhilfestunde geben.«
    Unwillkürlich weckt das meine Neugierde, gleichzeitig überfällt mich ein leichtes Gruseln. Die Zwillinge sprechen Hochdeutsch und sind todernst dabei.
    »Jetzt habt ihr mich aber neugierig gemacht.« Vielleicht kann ich sie an meine Anwesenheit erinnern und ermuntern, direkt mit mir zu sprechen. Ich winke mit meiner Hand neben meinem Kopf.
    »Also pass mal uff, Kleener. Dieset Haus hier, deine Bude, dein Kaffeeboot, oder wie auch immer.

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