Für hier oder zum Mitnehmen?
schon mit den Schichtplänen begonnen.«
Magnus nickt mir stolz zu. »Ich habe mir ausgedacht, dass wir eine Testzeit machen. Erst mal ohne Geld. Ich brauche nur Freigetränke, dann geht das schon absolut gut für mich. Soll ich gleich anfangen?«
Nach ihrem Schichtende am frühen Abend sucht Milena mich im Lüftungsraum auf und verabschiedet sich kurz, aber freudig von mir. Das hat sie noch nie getan. Dabei berührt sie mich einmal am Oberarm. Sie ist beseelt von ihrem Traum und vermutet in jedem Gast einen Regisseur, Produzenten oder Schauspielagenten.
Nach ihrem Abschluss des Schauspielstudiums an der Universität der Künste in Berlin hat sie nicht gleich die ganz großen Engagements erhalten und deshalb bei mir zu kellnern begonnen, um sich ein Zubrot zu verdienen. Bei der Aufnahme ihrer persönlichen Daten hat sie mir mitgeteilt, dass ihr biologisches Alter zwar zweiunddreißig sei, dass sie aber in Absprache mit ihrer Agentin auf ihrer Sedcard dreißig angegeben habe. Das entspreche genau ihrem Gefühl, und sie halte es für außerordentlich wichtig, dass auch mir klar sei, dass sie eben eigentlich erst dreißig und nicht zweiunddreißig sei. Dabei schaute sie mich mit vorgebeugtem Oberkörper an, ihre großen braunen Augen weit aufgerissen, und tippte mit dem Zeigefinger auf die entsprechende Zeile des Formulars. Ganz vorne auf ihrem markanten und doch fein geschnittenen Kinn befindet sich ein kleines Muttermal, nicht ganz in der Mitte, aber noch auf der Spitze des Kinns. Wenn sie spricht, hüpft es auf und ab. Die Entdeckung dieses Mals und das rhythmische Klopfen ihres Fingers hatten eine hypnotische Wirkung auf mich. Erstaunt und noch recht unerfahren im Umgang mit Schauspielern erklärte ich, dass ich alles verstanden habe und sie sich keine Sorgen machen müsse.
Gemeinsam gehen wir die große Holztreppe hinunter. Magnus sitzt noch immer am Tresen, ist intensiv mit seiner neuen Aufgabe beschäftigt. Er hat von Kaffee zu Bier gewechselt und raucht eine Zigarette, während er telefoniert. Auch Kaja und Claire, die beiden Abendschichten, verstehen sich gut mit ihm. Claire ist eine hochgewachsene Französin, die sehr mit ihrem Deutschstudium beschäftigt ist und nur am Abend und an den Wochenenden arbeiten kann. Kaja hingegen ist klein und blond, ihre Nasenflügel sind streng nach oben gezogen, sie trägt gerne farbenfrohe Schuhe, die aussehen wie die von Daisy Duck, heute sind sie lackrot.
Die Atmosphäre im gesamten Laden hat sich von Weltuntergangs- in Aufbruchsstimmung verwandelt. Shanti teilt mir mit, dass alles so läuft, wie es der Mayakalender vorhergesagt hat.
»Turbulent kann es aber schon noch mal werden! Mit Magnus hast du jedenfalls einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Und der sieht ja so was von skandinavisch aus!«, sagt Shanti, umarmt mich – das hat auch er noch nie getan – und beendet seine Schicht, indem er mit Magnus am Tresen ein Bier trinkt.
Fred und der General laufen ein, meine in Falten gelegte Stirn kontern sie freundlich: »Ach komm, Chef, ist doch n bisschen mal wat los hier heute Abend, dit lohnt sich doch dann überhaupt erst für uns.«
Milde lächelnd winke ich sie durch. Fred hat recht. Tatsächlich scheint die veränderte Stimmung und der mit Statisten besetzte Laden auch mehr echte Gäste anzuziehen, ein guter Abend könnte das werden. Das Gesetz der kritischen Masse greift langsam ein wenig, wendet sich ganz leicht zur positiven Seite. Zum ersten Mal habe ich keine Bedenken, zwei Mitarbeiter gleichzeitig im Tresen einzusetzen. Im sogenannten Schankvorgarten, an den Tischen direkt an der Rosenthaler Straße, sitzen einige Gäste, und im Innenraum auch.
»Ist ja eine richtig verliebte Stimmung hier«, sagt Kaja im Vorübergehen zu mir. »War ja einiges los heute, was man so hört. Du und Milena und Pornos und so?« Im Laufen schenkt sie ein Hefeweißbier in ein Glas.
Ich zucke die Schultern und tue das als normalen Gastro-Alltag ab. Magnus und Shanti überreden mich, für heute Schluss zu machen und ein Bier mit ihnen zu trinken.
»Wir laden dich auch absolut ein!«, sagt Magnus und klappt feierlich seinen Laptop zu.
In dieser Nacht wird von einer Tafel ein Buchstabe gestohlen. Das ›k‹ von »Das Leben ist kein Ponyhof«.
6.
ÖLHALTIGE EMULSION ODER WÄSSRIGE LÖSUNG
I ch putzen Keller und ich denken, irgendwas sein komisch. Gleich so ein Gefühl von Fantasma, Gefühl von meine Oma!« Dolores, unsere kleine, quirlige spanische
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