Für hier oder zum Mitnehmen?
Reinigungskraft, atmet kräftig durch die Nase ein, die Nasenhöhlen sind durch ihr heftiges Weinen alles andere als trocken und frei. Immer wieder holt sie stotternd und aufheulend Luft, auch durch den Mund, ihre Unterlippe flattert dabei.
»Ich gucke hier, und da steht Frau mit Haut blanco, Kittel blanco, und eine Kerze in Hand und gucken so von unten.« Sie spielt die Szene nach. Sie steht am unteren Ende der Kellertreppe, an die Wand gelehnt und von Milena im Arm gehalten. Dolores ist kleiner als Milena, aber im gleichen Alter. Ihre spanischen Wurzeln sind unverkennbar. Ihr schweres, glattes, schwarz glänzendes Haar bindet sie zu einem festen Zopf, während sie arbeitet. Beim Einstellungsgespräch trug sie es offen. Ihre Augen sind groß und wachsam, sie sehen aus wie mit Kajalstift umrandet, sind jedoch ungeschminkt. Ihr Oberkörper hat etwas leicht Kastenförmiges, die Kittel, die sie trägt, unterstützen das. Ein energisches Wesen, das stets weiß, was es will.
Auf der Kellertreppe sitzen, wie im Theater, hintereinander Shanti, Magnus und ich, Reihe eins bis drei. In der Reihenfolge des jeweiligen Erscheinungszeitpunkts. Ich befinde mich so weit oben, dass ich meinen Kopf ein wenig nach unten recken muss, damit die Kellerdecke die Szenerie, die ich immer noch nicht ganz begreife, nicht verdeckt. Ich kam als Letzter und habe den Beginn der Aufführung verpasst.
»Was ist denn hier eigentlich los?«, flüstere ich Magnus, dessen Kopf sich zwischen meinen Knien befindet, ins Ohr.
Er dreht sich zu mir um und informiert mich sehr leise: »Sie hat eine Erscheinung gehabt, eine absolute Geistererscheinung hier im Keller. Es spukt!« Er deutet in eine Ecke des Kellers, die von hier aus nicht einsehbar ist. Ich kann immer noch nicht begreifen, was hier gerade vor sich geht.
Nach der kurzen Fahrt von meiner Wohnung zum Rosenthaler Platz mit dem Fahrrad fühle ich mich einigermaßen erschöpft. Der Septembermorgen ist frisch, aber immer noch sommerlich, der Herbst lässt sich deutlich erahnen. Feuchtkühle Luft weht durch die Straßen, immer wieder wird die Sonne von dunklen, schnell ziehenden Wolken verdeckt. Ich freue mich auf den Herbst. Ich hoffe, dass es sich bei meinem Café eher um einen Schlechtwetterladen handelt und sich mit Eintreten der neuen Jahreszeit mehr Gäste einfinden werden.
In den Schläfen spüre ich meinen Puls. Selbst kleine Mengen Alkohol vertrage ich anscheinend nicht mehr gut.
»Verdammt, das war eine verdammte Fantasma, eine Geist. Eine böse, böse Geist!« Dolores’ spanisches Temperament kommt zurück. Sie trocknet ihr Gesicht mit den Oberseiten ihrer Unterarme. Milena hat sie losgelassen, damit sie besser spielen kann. Dolores schaut grimmig mit verzerrten Mundwinkeln und halbzugekniffenen, zitternden Augenlidern von unten nach oben und hält eine nicht vorhandene Kerze in beiden Händen vor der Brust. Eine Zeitlang verharrt Dolores in ihrer Pose, dann entspannt sie sich.
»Sie hatte auch keine Schuhe an und blieb lange vor Dolores stehen, die sich vor Schreck nicht rühren konnte. Deshalb schloss sie die Augen, und als sie sie wieder öffnete, war das Gespenst verschwunden.« Milena spricht zum Publikum wie eine Erzählstimme aus dem Off. Dolores nickt zustimmend mit ihrem gesamten Oberkörper, während Milena fortfährt, den Vorfall zu schildern.
»Hallo? Ist hier jeöffnet?«
Außer mir scheint niemand diese Frage gehört zu haben. Ich kann die Situation im Keller nicht einschätzen, ich will sie nicht unnötig verkomplizieren. Ich laufe um den Speisefahrstuhl herum, der sich im Durchgang zwischen Tresen und Küche befindet, halte mich an ihm fest, stecke nur den Kopf in den Tresen, während der Rest meines Körpers in der Küche bleibt.
Während der Sanierung entdeckten Handwerker den zugemauerten ehemaligen Fahrstuhlschacht mit schweren Gegengewichten und verrosteten Drahtseilzügen. Leider musste der Speisefahrstuhl neu erbaut werden, die alte Technik war nicht zu retten. Unten im Schacht lag eine alte Tasse und eine Zeitung von 1928.
»Der Chef persönlich! Dit is ja eene Ehre! Womit ham wan dit vadient?«
Die Zwillinge vom Nagelstudio stehen am Tresen. Die beiden eineiigen Schwestern schauen sich suchend um, wobei ihr Blick auch auf Stellen fällt, an denen sich rein physikalisch betrachtet keine Kellner befinden können. Hätte ich gewusst, dass es sich um die beiden handelt, hätte ich jede Verkomplizierung des Kellertheaters billigend in Kauf genommen.
»Komme
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