Für hier oder zum Mitnehmen?
Das hat eine lange und aufregende Geschichte hinter sich. Hier hat sich so einiges abgespielt.«
Wenn sie Hochdeutsch reden, bekommen ihre Aussagen eine gewisse Strenge und Wichtigkeit. Klein komme ich mir vor. Und ängstlich. Ich versuche mich wie ein Erwachsener zu benehmen: »Das weiß ich doch …«
»Aber du weißt nicht alles.« Jetzt spricht der andere Zwilling. »Zu Nazizeiten ist hier mal eine Putzfrau während der Nachtschicht im Keller verstorben. Das hat man tagelang nicht bemerkt, erst am Verwesungsgeruch, die muss wohl an einer ganz ungünstigen Stelle gelegen haben.«
Verschiedene abseitige Stellen des verwinkelten Kellers tauchen vor meinem geistigen Auge auf.
Der andere Zwilling schließt den Bericht ab: »So, nu weeste n bisschen besser Bescheid.«
»Aber was soll das denn mit dem Gespenst im Keller zu tun haben?« Nun will ich alles wissen.
Leider haben die Zwillinge die direkte Ansprache nach außen zu diesem Thema offiziell abgeschlossen. »Der kleene Wessi schnallt dit nich!« Das ›nich‹ wird besonders langgezogen und der Kopf nach vorne gebeugt, die Augen aufgerissen. Die andere Schwester schüttelt mit verkniffener Miene den Kopf.
»Wat wolln wa nu trinken, noch n Kaffee?«, fragt die eine.
»Ja«, sagt die andere, »der is ja janz lecker hier.«
Wieder Ansagerwechsel, wie in modernen Nachrichtensendungen: Und jetzt der Überblick.
»Zwei Kaffee!« Dabei hält sie zwei Finger der rechten Hand nach oben, wie ein Victoryzeichen. Ihr Blick rutscht von mir ab, sie schaut an mir vorbei, die Augen stellen auf etwas scharf, das sich hinter mir befinden muss. In dem Moment fasst mich jemand an die Schulter, ich zucke zusammen.
»Für hier oder zum Mitnehmen?« Magnus’ Stimme ertönt wie von weit entfernt, obwohl er nahe bei mir ist.
Hätten sie bei mir bestellt, wäre mir die Frage gar nicht in den Sinn gekommen.
»Zum Mitnehmen, oda?« Die beiden Hälften nicken sich zu. »Mitnehmen! Wir müssen Püppi noch umm Block bringen, bevor wa uffschließen.«
»Ja, gerne, mach ich sofort«, sagt Magnus freundlich professionell. »Darf es sonst noch was sein?«
»Nee, lass ma, danke.«
»Das macht dann drei Euro, bitte.« Magnus wendet sich der Kaffeemaschine zu, während die Zwillinge in ihrem Portemonnaie Kleingeld zusammensuchen.
Fasziniert schaue ich Magnus’ sicheren Handgriffen zu. Er hat mich in ein Beschäftigungsvakuum gestoßen, ich verabschiede mich höflich. Abwesend nicken die Zwillinge, vielleicht als Reaktion auf meinen Gruß. Die Kaffeemaschine brummt beruhigend.
In der Küche sieht es aus, als hätte jemand alle Töpfe, Pfannen und Kleingeräte ausgepackt und zu Präsentationszwecken arrangiert, vergleichbar dem Verkaufsstand einer Haushaltsauflösung. Shanti sucht den großen Schneebesen, er will Birchermüsli nachproduzieren. Dolores und Milena stehen am Fenster. Die Vorführung im Keller ist also beendet.
»Dolores, was ist denn nun eigentlich passiert?« Ich wundere mich über meine Gereiztheit. Aber hiersollte schnellstmöglich Arbeitsalltag einkehren, schon wieder vergeude ich Zeit mit den Wehwehchen meiner Angestellten. Ich werde die Gespenstergeschichte schnell auflösen.
»Dolores hatte heute Nacht im Keller eine Erscheinung. Als sie dort putzen wollte, stand plötzlich eine Frau vor ihr, die sie noch nie gesehen hatte.« Erneut übernimmt Milena für Dolores das Sprechen, die bei dem Wort ›Frau‹ heftig aufheult. An Fadogesänge erinnern die Laute, die sie von sich gibt.
»Nun gut.« Ich versuche einzulenken, das muss sich doch klären lassen. »War das vielleicht ein übriggebliebener Gast oder ein sehr früher Lieferant? Was hat die Frau denn gesagt?«
»Dolores«, Milena beugt sich zu ihr hinab und spricht etwas lauter, sehr deutlich und langsam, »hat die Frau was zu dir gesagt? Nein, oder?«
Dolores schüttelt den Kopf.
»Sie hat nichts gesagt«, berichtet Milena.
Gestern hatte ich noch gedacht, Milena endlich Zaumzeug angelegt zu haben. Über Nacht hat sie es wieder abgestreift und scheint unbändiger denn je zu sein. Dass Dolores an Übersinnliches glaubt, kann ich akzeptieren. Aber Milena reitet auf dieser Welle, um wieder einen Ausnahmezustand zu kreieren, mit dessen Hilfe sie das Café nach ihren Vorstellungen leiten will.
»Wenn das mein Laden wäre, würde ich ein Medium herbestellen, um die Angelegenheit zu klären. Damit ist nicht zu spaßen.« Shanti sucht noch immer den großen Schneebesen, auch für ihn ist die Geschichte
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