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Für hier oder zum Mitnehmen?

Für hier oder zum Mitnehmen?

Titel: Für hier oder zum Mitnehmen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ansgar Oberholz
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realistisch und völlig normal.
    »Nein, wir brauchen kein Medium, weil es hier keine Gespenster gibt.« Ich werde unruhig, ich kann nicht glauben, worüber ich gerade mit erwachsenen Menschen spreche, mit Menschen, mit deren Hilfe ich ein Unternehmen aufbauen will. »Das Gespenst ist weg. Besser gesagt, es war nie da. Es ist nur eine – wie soll ich sagen – wie eine Fata Morgana. Lasst uns einfach abwarten, es wird nichts mehr vorfallen, das garantiere ich.«
    Es gelingt mir nun besser, meine Gereiztheit zu unterdrücken. Die Lage beruhigt sich, ein Rest von Vernunftgefühl macht sich in der Küche breit.
    »Das mit der Naziputzfrau ist ja der Hammer. Kein Wunder, dass die absolut da in dem Keller wohnt!« Magnus kommt aufgeregt herein und zertrampelt mein kleines Pflänzchen Vernunft, das ich gerade zärtlich aufgezogen hatte.
    Magnus erzählt die Spukgeschichte der Zwillinge, alle sind erschrocken, reden durcheinander. Dolores hält die Hände vor das Gesicht und murmelt spanische Gottesanrufungen, Magnus redet von schwarzer Magie der SS und Milena von Realitätsverlust, Shanti sagt immer wieder nur das Wort ›Medium‹, und ich sage nichts.
    Dolores stellt sich sehr nah vor mich und schaut mich böse an.
    »Du nix sagen von böse Naziputzfrau, du sagen Dolores balla balla.« Mit ihren Fäusten trommelt sie auf mich ein. Behutsam, aber bestimmt halte ich ihre Hände fest, sie heult auf, dreht ihren Kopf zur Seite, sinkt nach vorne und legt ihr Gesicht bebend, erschöpft schluchzend auf meine Brust. Ihre Hände, die ich immer noch halte, sind klein, kräftig und ausgesprochen rau.
    Alle sind verstummt. Magnus löst Dolores aus meinem Griff, umarmt sie und stellt sich ein wenig abseits mit ihr, soweit das in der Küche möglich ist. Sie scheint den Brustwechsel nicht zu bemerken. Milena fährt mich an: »Hast du von der Naziputzfrau gewusst?«
    »Wer sagt denn, dass die arme Frau ein Nazi war?Nur weil sie in den dreißiger Jahren in Berlin gelebt hat? Lasst doch bitte einen Fachmann entscheiden, ob es hier spukt oder nicht. Ich werde mit einem Medium einen Termin vereinbaren.« Milenas Frage weiche ich aus, ich will das Thema endlich beenden.
    Draußen haben sich die einzelnen grauen Wolken am Himmel zu einem Teppich verdichtet, der die Morgensonne verdeckt, unwirkliches, apokalyptisches Licht fällt durch das Küchenfenster herein, es ist fast so dunkel, als wäre es bereits Abend. Ich schalte das große Neonlicht an der Decke ein. Alle blinzeln ein wenig und wirken, als wären sie gerade aufgewacht.
    Shanti streckt mir sein Mobiltelefon entgegen: »Ist schon gewählt, du musst nur noch warten, bis das Medium abhebt, dann kannst du gleich einen Termin ausmachen.«
    Es ist so ruhig, dass man das Freizeichen hören kann. Ich nehme das Telefon entgegen, drücke den roten Knopf.
    »Ich rufe heute noch an, das verspreche ich. Aber nicht jetzt.«
    Ein heftiger Platzregen beginnt zu fallen und unterlegt alles mit dumpfem, sattem Rauschen, das durch das geschlossene Fenster dringt.
    »Ich nicht balla balla, ich kann sehen Gespenst. Ich nicht mehr arbeiten alleine in Keller. Ich jetzt kommen später morgens, erst wenn Shanti da«, protestiert Dolores.
    Ich nicke müde.
    »Du musst was unternehmen, das musst du mir versprechen. Dolores tut mir sehr leid und ich … ich hatte auch schon oft ein merkwürdiges Gefühl hier im Laden. Vielleicht ist das ja der Fluch, der immer wieder für das Scheitern in diesem Haus sorgt?«
    Milena ist außerordentlich engagiert und überzeugt von dem, was sie sagt. Sie tritt behutsam an mich heran und streichelt mir kurz sanft über die Brust, als wolle sie fühlen, ob die Flecken von Dolores Tränen echt seien. Shanti und Magnus stimmen ihr schweigend zu. Mit allen möglichen Problemen hatte ich gerechnet und die meisten davon auch bekommen. Mit einer herumspukenden Naziputzfrau, vielmehr mit Mitarbeitern, die an eine angeblich herumspukende Naziputzfrau glauben, hatte ich nicht gerechnet. Auch dafür werde ich eine Lösung finden.
    »Ich kümmere mich um das Problem, Milena, das verspreche ich dir. Aber bitte geht jetzt zurück auf eure Gefechtsstationen.« Ich klatsche in die Hände. »Falls du den Schneebesen noch suchen solltest, Shanti, der hängt dort über dem Herd.«
    Wie aufgescheuchte Tauben unter Morphiumeinfluss beginnen meine Mitarbeiter, sich langsam und mürrisch zu bewegen, sie strecken und sie mühen sich, es gibt nichts Bedrohlicheres für sie als den normalen

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