Für hier oder zum Mitnehmen?
aus dem Gleichgewicht. Durch zwei, drei schnelle Korrekturschritte verhindere ich einen Sturz. Die anderen Laufbandkollegen tun so, als hätten sie nichts bemerkt.
Die Geistergeschichte der Zwillinge ist in den letzten Jahrzehnten sicher mündlich überliefert worden, so wie es derzeit in meinem Café praktiziert wird. So absurd, wie sie ist, so schnell mag sie wieder verschwinden. Wer will denn wissen, ob die wiedergängerische Reinigungskraft in der NSDAP war? Naziputzfrau! Das hatten die Zwillinge gar nicht so dargestellt. Soll Dolores doch bei ihrer nächsten Begegnung das Gespenst mal fragen, wie es zur Partei stand!
Wieder winkt ein Gast nach Milena, Magnus hält sie kurz am Arm und geht statt ihrer in den Tresen, sie soll mal eine Pause machen können. Er läuft eng hinter ihr vorbei, und ich meine zu erkennen, dass er im Vorübergehen mit seiner Hand ganz leicht ihren Po berührt.
Mir fällt ein, dass ich gar nicht weiß, ob Magnus eine Rote Karte besitzt. Die Rote Karte ist der Nachweis über die Belehrung nach dem Infektionsschutzgesetz, die jeder Mensch, der beruflich mit der Verteilung von Lebensmitteln zu tun hat, an seiner Arbeitsstätte hinterlegen muss. Ist sie bei einer Kontrolle des Hygieneamtes nicht vorhanden oder später nachweisbar, so werden empfindliche Bußgelder fällig. Für den Betreiber, nicht für den Mitarbeiter, wohlgemerkt.
Endgültig vom Laufband treibt mich die nächste Szene. Wieder wird ein Gast missachtet, aber der macht sich nicht die Mühe, nach der Bedienung zu winken, sondern verlässt das Café, ohne etwas bestellt zu haben. Milena und Magnus unterhalten sich angeregt, dabei rauchen sie eine Zigarette.
Den kleinen, recht schmutzigen Duschraum ohne Tageslicht teile ich mir mit zwei echten Gorillas. Extrem muskulös, aber auch extrem bauchig. Feste, dralle Kugeln tragen sie vor sich her, nicht schwabbelig, sondern stramm.
Durch ihre laut geführte Duschunterhaltung erfahre ich, dass die beiden bei einem privaten Sicherheitsdienst arbeiten, der für die Drogeriemarktkette Schlecker tätig ist. So sehen also die Menschen unter den grauen Lederoveralls aus, die mit ihren Mopeds oft im Stadtbild zu sehen sind und stichprobenartig Schleckerfilialen überwachen. An Tätowierungen wurde bei beiden nicht gespart. Der eine trägt einen Bürstenschnitt, dessen obere Hälfte wasserstoffblond gefärbt ist.
In ihrem Gespräch geht es nicht um Sicherheitsbranchenfachsimpelei, sondern vornehmlich um die Mitarbeiterinnen der Filialen. Von den Schlecker-Mitarbeiterinnen begehren und umwerben sie die eine oder andere. In manche Filialen scheinen sich die begehrenswerteren Modelle regelrecht zu häufen.
»Auf meiner Dienstagstour ziehe ich nun schon seit einem Monat in der Filiale Raumerstraße immer wieder die gleiche Nummer ab. Bei der kleinen Brünetten.« Er blickt seinen Kollegen an, der ihm zunickt, er weiß, welche Brünette gemeint ist. »Jedenfalls kaufe ich am Ende der Runde immer eine Zwölferpackung Kondome, die ›Durex Performa XXL ‹, die mit dem Tacho vorne drauf.« Wieder blickt er seinen Kollegen an, und der weiß wieder, was gemeint ist. »Jede Woche lege ich die Dinger bei ihr auf das Kassenband, und sie bongt sie ein, ohne mit der Wimper zu zucken. Keine Regung. Nichts. Ist das zu glauben?«
Der Kollege schüttelt den Kopf. Ich wage nicht, durch eine Blickkontrolle zu überprüfen, ob die Kondomgröße angemessen ist oder nicht.
Bei Schlecker sind mir die weiblichen Mitarbeiter noch nie aufgefallen, nur, dass achtundvierzig Stunden vor dem ersten Mai konsequent alle Schaufenster aller Filialen mit Holz verbarrikadiert werden. Ob das auch für mein Café nötig ist?
Ich sehne mich nach dem Leben der beiden Gorillas. Wieso kann ich nicht einfach in einem grauen Lederoverall von einem Flirt zum nächsten fahren und dafür ein regelmäßiges Einkommen erhalten? Aber zur Not kann ich das ja immer noch tun. Insolvenz anmelden, Moped fahren, flirten.
Als die beiden damit beginnen, sich am ganzen Körper zu rasieren, beende ich meinen Duschvorgang. Ich habe mit meinen Mitarbeitern einiges zu klären.
8.
FRISCHER SAFT UND SCHLECHTES WETTER
M it der Sporttasche in der Hand rausche ich in mein Café. Der kleine Kater, das fehlende Frühstück, die unausgewogene, hohe Belastung im Fit-Sportstudio, das hilflose Gefühl gegenüber Mitarbeitern und Gespenstern, die Geldsorgen, all das überkommt mich, als ich Milena auf das Thema ›Aufmerksamkeit am Gast‹ ansprechen
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