Für hier oder zum Mitnehmen?
Wasser benötigt, um die psychotrope, koffeinhaltige Substanz zu passieren, ist entscheidend für die Qualität des Kaffees. Ist sie zu kurz, wird er zu sauer, ist sie zu lang, wird er zu bitter. Wird das Getränk mit einer professionellen Maschine zubereitet, ist es, wissenschaftlich betrachtet, eine ölhaltige Emulsion und nicht, wie bei normaler Zubereitung, eine wässrige Lösung. Darauf beruhen die grundlegend unterschiedlichen Geschmackserlebnisse.
»Lass mal gut sein. Es geht absolut besser alleine.« Magnus klopft mir auf die Schulter, so dass der Kaffee in der randvollen Tasse, die ich bereits in der Hand halte, um sie vorsichtig zum Kunden zu balancieren, überschwappt.
Ich lächele den Gast entschuldigend an, er hat den Vorgang beobachtet. »Na, den machen wir gleich mal wieder frisch«, sage ich. »Magnus, kannst du das bitte übernehmen? Eine Tasse Kaffee für den Herrn dort drüben.«
Mit der Tasse in der Hand gehe ich an Milena vorbei, die immer noch mit Howard Carpendale spricht, sich aber bereits in der Verabschiedungsphase befindet. Sie hält eine Visitenkarte des Porno-Cutters in den Händen und entlässt ihn mit Küsschen links, Küsschen rechts.
Ich schütte den Kaffee weg und stelle Tasse und Untertasse in den geöffneten Speisefahrstuhl, der in ruhendem Zustand als Durchreiche zwischen Tresen und Küche genutzt wird.
Milena klatscht in die Hände, zwinkert mir zu, Daumen hoch, und stürmt nach vorne, um den Rest der kleinen Gastschlange abzuarbeiten.
7.
FIT
F it am Rosenthaler Platz, so heißt das Sportstudio direkt gegenüber auf der anderen Seite. Das Eckhaus, in dem es sich befindet, hat eine sehr breite Front, es steht im Fünfundvierzig-Grad-Winkel zu Brunnen- und Torstraße. Das Sportstudio füllt das gesamte erste Stockwerk aus. Es ist schon recht lange an diesem Ort, authentisch in der Tradition des Rosenthaler Platzes. Konzeptionelle Nähe besteht eher zu den Imbissbuden in unmittelbarer Umgebung als zum schräg gegenüberliegenden Yogazentrum in der Torstraße. Schick ist es hier nicht, eher räudig. Die Klientel entspricht einerseits dem Interieur, andererseits mischt sich zwangsläufig echtes, klassisches Berlin-Mitte-Hipster-Publikum darunter.
Die Laufbänder sind so an den Fenstern positioniert, dass die Läufer auf den Platz schauen und damit auf das Gebäude, in dem sich das Café befindet. Auf einem dieser Laufbänder befinde ich mich.
Nach der Geisterscheinung zog es mich nach draußen, raus aus meinem Laden. Ich bin wütend und fühle mich fremdgesteuert. Ich tue Dinge, die ich nicht tun möchte. Vielleicht hätte ich besser einfach mal auf den Tisch gehauen und autoritär reagiert. Bei dieser Vorstellung überkommt mich Schamgefühl. In letzter Zeit flüchte ich öfter mal in das nahegelegene Sportstudio, um durch körperliche Ertüchtigung die Nerven zu beruhigen.
Nachdem ich die Situation geklärt hatte, schnappte ich mir im Keller mein Sportzeug und ging durch den Lieferantenausgang hinaus. Wann und wo ich Sport treibe, müssen meine Mitarbeiter nicht wissen. Auch nicht, welchen Ausblick ich dabei habe.
Das Fenster, durch das ich blicke, ist angekippt, es strömt feuchte, kalte Luft herein. Sie ist kräftig vermischt mit Zwiebel- und Knoblauchgeruch, direkt unterhalb befindet sich einer der drei Dönerimbisse am Platz, der schon morgens konsequentes Duftmarketing betreibt.
So wie ich die Lage von hier aus bewerten kann, haben Milena und Shanti sich in die Nähe von Magnus an den Tresen gesellt. Immer wieder kommen Gäste herein, aber meine Freude darüber schlägt um in Entsetzen. Nachdem Milena die ersten Gäste aufmerksam und höflich bediente, ist sie etwas später von der Unterhaltung mit Magnus und Shanti so abgelenkt, dass sie einen Gast missachtet. Er muss durch Handzeichen auf sich aufmerksam machen, dann erst wendet Milena sich ihm zu. Shanti verschwindet gleichzeitig in die Küche, als würde er durch den Gast an sein Birchermüsli erinnert.
Anschließend stehen Magnus und Milena dicht beieinander, Magnus berührt sie mehrmals an der Hand, einen Nasen-Eskimokuss darf ich gar beobachten. Der Maßstab, den ich hier sehe, entspricht ungefähr Märklin H0, mein Blick wackelt durch die Laufbewegung, vielleicht handelt es sich um eine optische Täuschung.
Fahranfängern ähnlich, die beim Blick über die Schulter auch das Lenkrad in die gleiche Richtung drehen, setze ich unwillkürlich die Laufrichtung der Blickrichtung gleich, mein Laufrhythmus gerät
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