Für hier oder zum Mitnehmen?
schöne vormittägliche Herbstsonne beleuchtet den Rosenthaler Platz, das Café ist wieder fast leer. Auch die Zwillinge sind im Aufbruch begriffen, die hatte ich ganz vergessen. Bei ihrem Anblick spüre ich die kalte, nasse Püppimilch auf meiner Hose. Ich haste zu ihnen hinüber, die nasse Stelle klebt an meinem Oberschenkel.
»Ich bringe Püppi ihren Milchschaum gleich, es gab einen Notfall in der Küche.«
» Seinen Milchschaum meint er wohl! Püppi is doch n Kerl! Jetz is ooch ejal, wir müssen uffschließen jehn.«
Auch wenn sie den Zuhörer nicht als Hirnbalken nutzen, sprechen sie ihn gerne mal in der dritten Person an, das macht die Kommunikation nicht einfacher.
»Ach, schade! Dann aber beim nächsten Mal, ja?« Die Zwillinge sind anstrengende Gäste, aber wenn wir sie als Rosenthaler-Platz-Urgestein halten können, dann können wir fast jeden Gast halten.
»Um den Kumpel da sollteste dich lieba mal jekümmert haben, der wird dir nischt jerade Gäste anlocken.«
Sie zeigen auf den General. Der sitzt neben dem Eingang in seinem Rollstuhl, Zigarillo im Mundwinkel. Von Fred weit und breit keine Spur. Das ist gegen die Abmachung.
»Stimmt, um den General muss ich mich mal kümmern. Macht’s gut. Bis morgen?«
»Ja, ja, bis morgen. Komm, Püppi.«
Püppi wird auf den Boden entlassen, schüttelt sich und schnuppert dann aufgeregt an einem der Rollstuhlreifen. Ich halte den dreien die Tür auf, hake diese ein, damit sie offen bleibt, und verabschiede meine Gäste noch einmal wie nach einem feierlichen Dinnerabend.
Vor dem Laden stehen Dolores, Aurinia und Magnus. Ein Sonnenstrahl blendet mich, die drei befinden sich im Gegenlicht. Magnus hält Dolores im Arm und streichelt Aurinia aufmunternd, aber zärtlich über die Wange. Ich schüttele mich kurz, drehe mich um und schaue den General an, er schläft tief und fest.
Das Café ist ein riesengroßer Flipperautomat, und ich bin die polierte Stahlkugel. Ich sehne mich danach, dass der große Spieler mich ins schwarze Loch fallen lässt, stattdessen erspielt er einen Extraball nach dem anderen.
10.
ZEUS UND DIE FREIHEITSSTATUE
H ier, Chef! Kiek mal hier hin. Ick habe Jeld. Ick möchte jetzt sofort wat koofen!«
Der General hält eine geöffnete Hand senkrecht nach oben. Darin befindet sich eine ansehnliche Menge fein sortiertes Kupfergeld. Ein kleiner Geldberg. Ich stehe hinter seinem Rollstuhl und stelle entnervt fest, dass sich die Speichen der Räder in den Zargen der Eingangstür verkeilt haben. Der Rollstuhl lässt sich in keine Richtung mehr bewegen. Auch nicht zurück in den Gastraum. Das Bauamt hatte uns nur zu einem barrierefreien Eingang verpflichtet. Das war nicht dieser hier, sondern der Eckeingang zum Rosenthaler Platz. Der ist neunzig Zentimeter breit und hat keine Stufe, sondern eine Rampe. Den hätte ich nehmen müssen, als ich den General vehement hinauswerfen, oder besser gesagt hinausschieben wollte.
Zwei Minuten zuvor hatte ich versucht ihn sanft zu wecken, um auf unsere gemeinsam erarbeiteten Regeln hinzuweisen und darauf, dass er sich keinen günstigen Schlafplatz ausgesucht hatte. Der sanfte Weckversuch blieb erfolglos. An seinem Rollstuhl hatte er einen Getränkehalter installiert, darin steckte einer unserer großen Mitnehmbecher aus weißer Pappe, die wir mit Stempeln verzieren, auf denen jeweils ein Tier und ein Sinnspruch abgebildet ist. Der General hatte »Verteile das Fell des Bären nicht, bevor er erlegt ist« erwischt. Im Becher befand sich Kleingeld, in seinem Mund das obligatorische Zigarillo. Der Stempel war wie bei einem ordentlichen Biertrinker, der das Signet der Biermarke auf seinem Glas immer in Richtung der Betrachter dreht, nach vorne ausgerichtet, für seine Kunden gut sichtbar. Es freute mich, dass der Spruch auch dem General gefiel. Er machte damit Werbung für das Café.
Ich schaltete den Weckmodus einen Gang höher, wie ein elektronischer Wecker, der immer lauter wird, je länger man ihn ignoriert. Ich schüttelte den General unsanft an der Schulter und rief ihm laut ins Ohr, dass er wach werden müsse.
Das zeigte die erwünschte Wirkung. Der General begann zu schmatzen, zog an seinem Zigarillo, das zu meiner Überraschung zu glimmen begann. Er gähnte, wobei Zigarilloqualm ausgestoßen wurde, und rieb sich mit der linken Hand die Augen, die rechte war zur Faust verschlossen, darin befanden sich vermutlich weitere Kleingeldvorräte.
»Watn, watn?«
Er konnte sprechen! Das waren die ersten Worte, die
Weitere Kostenlose Bücher