Für hier oder zum Mitnehmen?
Form von großen Tafeln an der Wand hängt, er ist offenbar nicht schlüssig, was er konsumieren will. Ein anspruchsvoller Gast, er trägt einen Anzug, jemand, der seine Wahl im Leben gewissenhaft und gründlich trifft.
Nach einer kleinen Ewigkeit, in der ich mein professionelles Gastrolächeln nicht aufgebe, sagt er in einem nicht gerade freundlichen Ton: »Ist der Chef zu sprechen?«
Meine Hände entfalten sich, fallen schlaff zu beiden Seiten meines Körpers herunter. Ich drehe mich zu Milena und Shanti um, die den Gast nun auch bemerken und mich mitleidig ansehen.
»Nein, leider nicht. Er ist heute nicht im Hause«, sage ich zögerlich.
»Das ist sehr schade, ich wollte ihm nämlich wertvolle Tipps zu seinem Getränkesortiment geben.«
»Was wären das denn für Tipps gewesen?« Diese Frage kann ich nicht unterdrücken, bereue aber sogleich, sie ausgesprochen zu haben.
»Ich komme vom weltweit größten Erfrischungsgetränkehersteller, ich komme von BIEP . Ich gratuliere Ihrem Chef zu der Eröffnung des Cafés, das ist wirklich schön geworden. Richten Sie ihm bitte etwas aus? Ich habe intensiv Ihre Speisekarte studiert. Sehr kreativ und ungewöhnlich. Da ist ja fast alles dabei, einmal quer durch die internationale Küche. Aber fragen Sie Ihren Chef mal, warum er keinerlei Produkte von uns aufgelistet hat. Vor allem nicht unsere Kola, sondern eine andere Kola. Es könnte ja sein, dass er uns einfach in dem ganzen Stress, den so eine Gastrogründung mit sich bringt, vergessen hat?«
Stimmt, ja! In dem ganzen Stress habe ich die wirklich total vergessen. Gut, dass Sie mich daran erinnern, manchmal sieht man ja den Wald vor lauter Bäumen nicht. Klar, Ihre Kola fehlt, wie kann ich sie am einfachsten beziehen? Ich habe ja auch nicht jedes Produkt durchdacht und gekostet und Wochen und Monate in das Speisen- und Getränkesortiment gesteckt, ich habe vor allem die Getränkekarte einfach nur schnell mal so runtergeschrieben, ohne nachzudenken. Und ich habe zum Glück ja auch gerade keine anderen Sorgen als diese hier!
»Vielen Dank für das Kompliment! Das werde ich dem Chef ausrichten, da wird er sich freuen, vor allem weil es von Ihnen kommt. Ihre Verwunderung über unser Getränkesortiment kann ich voll und ganz verstehen. Auch ich habe ihm immer wieder gesagt, er soll doch die Standardkola mit reinnehmen, rausschmeißen kann er sie ja immer noch. Aber er will hier unbedingt Neuland betreten und kleine regionale Marken verkaufen. Ihre Kola ist ein tolles Produkt. Bitte nehmen Sie das nicht persönlich«, sage ich.
Das ist für ihn absolut unverständlich, und persönlich nimmt er es auch.
»Sie haben offenkundig mehr Geschäftssinn als Ihr Chef«, raunt er mir leicht vorgebeugt zu. »Hier haben Sie meine Karte. Eine für Sie und eine für Ihren Chef. Er kann mich jederzeit anrufen. Und Sie natürlich auch!«
Vor dieser Begegnung hatte ich bereits ein Ahnung davon, wie die große Macht der Konzerne entstanden sein könnte, die mir nun vollumfänglich bestätigt wurde. Doch jetzt erst verstehe ich die Welt der Waren und Marken gänzlich, dieser Soldat hat mir die Augen geöffnet. Ich ahne, dass ich ihm nicht zum letzten Mal begegnet bin.
3.
DAS LEBEN IST KEIN PONYHOF
M ein Mobiltelefon klingelt, das Display zeigt die Festnetznummer des Cafés. Die Lüftungsmotoren dröhnen. Ich sitze an meinem kleinen Schreibtisch und denke intensiv nach, wie ich Gäste anlocken könnte. Aus den Kernphysikvorlesungen ist mir das Gesetz der kritischen Masse bekannt, es lässt sich auf die Gastronomie übertragen: Befindet sich niemand im Gastraum, wird auch niemand hinzukommen. Ist der Gastraum aber bereits gut gefüllt, werden auch viele weitere Gäste dazustoßen. Irgendwie muss ich den Gastraum mit Menschen befüllen, damit das Gesetz positiv zu wirken beginnt.
Bei dem Anrufer kann es sich nur um Milena handeln, die gerade unten im Tresen als Frühschicht arbeitet. Bevor ich mich in Milenas Welt begebe, das Tor zu Problem-City aufstoße, indem ich die grüne Taste meines Telefons drücke, rette ich meinen Gedankengang. Ich könnte günstige, täglich wechselnde Mittagsgerichte anbieten, Wochenkarten vervielfältigen und verteilen. Man verdient nichts am Mittagstisch, aber es füllt den Laden.
»Ja?«, frage ich in mein Mobiltelefon.
»Hallo, ich bin es, Milena. Es gibt ein Problem. Eine Kabine auf der Herrentoilette ist seit einiger Zeit verschlossen.«
»Da haben wir wohl einen Gast!«, antworte ich erfreut.
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