Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
Kleinen, den sie alle so lieb gewonnen hatten, etwas antun könnte, oder dass sie mit ihm irgendwohin verschwinden könnte und sie ihn nie wiedersehen würden. Ihre einzige Waffe war das Geld. Jane und Graham hatten ständig alles Mögliche für seinen Sohn bezahlt, und nur weil alle so verrückt nach ihm waren, hatte es deswegen keine Streitereien in der Familie gegeben.
»Nein, es geht nicht um Donna«, sagte Adrian. »Es geht um Serena, Mum. Um Serena und mich.«
Seine Mutter sah ihn durchdringend an. Mit diesem Blick, der einen auf der Stelle gestehen ließ, dass man den letzten Krümel aus der Keksdose stibitzt hatte. Adrian schluckte.
»Ich weiß nicht, wie es dazu kommen konnte, aber es ist nun mal passiert. Wir … lieben uns. Und sie wird Philip verlassen.«
Jane lachte kurz auf. »Adrian! Mach dich nicht lächerlich. Das ist … unmöglich.«
»Nein, ist es nicht.« Er musste standhaft bleiben. »Wir reden seit fast einem Jahr davon, und jetzt haben wir endlich eine Entscheidung getroffen.«
»Ein Jahr?« Jane erbleichte, als ihr klar wurde, dass ihr Sohn die Wahrheit sagte.
»Wir haben das nicht gewollt«, sagte Adrian. »Die Ehe meines Bruders zu zerstören ist das Letzte, was ich wollte.«
»Ach, Adrian«, seufzte Jane. Sie war nicht wütend. Sie wirkte nur tieftraurig.
»Hör zu, Mum! Wir lieben uns. Wir können ohne einander nicht mehr leben.«
»Aber sie ist Philips Frau !«
Adrian seufzte. Seine Mutter gehörte einer Generation an, die immer noch an die Unauflöslichkeit der Ehe glaubte, egal, wie schlimm es auch wurde.
»Mum, du weißt doch, wie schlecht Philip sie behandelt!« Dass er ihr ausgerechnet damit kam, machte Adrian ein schlechtes Gewissen, aber es stimmte ja. Serena ließ sich seit Jahren von Philip schikanieren, genau wie seine Mutter sich von ihrem Mann hatte schikanieren lassen.
»Er ist genau wie Dad.«
Jane blickte zornig auf. »Wie meinst du das?«
»Bitte, Mum, ich will das jetzt nicht breittreten. Ich weiß nur, dass du es nicht leicht hattest.«
Jane widersprach ihm nicht. Sie legte das Gesicht in die Hände, während sie über die Folgen nachdachte.
Adrian ließ den Blick über die Wände der kleinen Hütte wandern, die ihm vertrauter waren als die Wände des Hauses, in dem er aufgewachsen war, oder die der Wohnung, in der er jetzt wohnte. Er kannte jedes Astloch, jeden Riss in den Holzdielen. Er erinnerte sich noch, als wäre es gestern gewesen, wie er immer oben in dem Etagenbett gelegen hatte, in dem Spike jetzt schlief, die Decke so niedrig wie in einer Schiffskajüte, die Matratze etwas durchgelegen – aber was machte das schon, wenn man den ganzen Sommer vor sich hatte?
Und er erinnerte sich, wie er manchmal mitten in der Nacht aufgewacht war und gehört hatte, wie sein Vater seine Mutter zusammenstauchte, leise, eindringlich, stundenlang. Er konnte die Worte nie genau verstehen, aber er wusste, dass sie gemein waren, denn sie brachten seine Mutter zum Weinen. Dann lag er da, klammerte sich an die Ohren seines Plüschesels und wünschte, er hätte den Mut, nach unten zu klettern und seinem Vater zu sagen, dass er aufhören solle. Aber er hatte sich nie getraut.
Irgendwann mussten seine Eltern sich einmal geliebt haben, genauso wie Serena und Philip. Wann verwandelte sich Liebe in Hass, Leidenschaft in Verachtung, Zärtlichkeit in Grausamkeit?
»Sie wird zu mir nach Frome ziehen«, fuhr Adrian fort. »Serena wird mir helfen, mich selbstständig zu machen, den geschäftlichen Teil übernehmen, den ich nicht auf die Reihe kriege: die Buchführung, Rechnungen stellen, Angebote schreiben, Kunden werben. Sie hat jede Menge Ideen; das ist genau das, was ich brauche. Anfangs werden wir uns mächtig anstrengen müssen, aber wir werden einander ha ben. Außerdem kann ich Spike öfter zu mir holen, wenn sie bei mir wohnt. Sie kann ihn von der Schule abholen, dann braucht er nicht in diesen blöden Hort zu gehen, in den Donna ihn nachmittags schickt, wenn sie im Laden …«
Er sprach den Satz nicht zu Ende. Bei dem Gedanken daran, wie anders sein Leben in Zukunft sein würde, wurde er von seinen Gefühlen vollkommen überwältigt.
Endlich schaute Jane ihn an. Ihre Augen waren mit Tränen gefüllt. »Ich verstehe«, sagte sie. »Ich kann dir meinen Segen nicht geben, denn Philip ist auch mein Sohn, und ich darf keine Partei ergreifen. Aber ich verstehe dich. Ich weiß, was es bedeutet, jemanden zu lieben.« Sie versuchte zu lächeln. »Ich mag Serena sehr. Ich
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